Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Gesellen. Ein neuer kam, und zugleich wurde ein zweiter – der sogenannte »Saisonmischer« – angestellt. Während der Ferien mußte ich nachts arbeiten. Ich war kaum zwölf Jahre alt, meine Schwester Anna zehn. Tagsüber – meist bis zum Hereinbruch der Dämmerung – half ich in der Konditorei oder fuhr mit dem Rad Bestellungen zu verschiedenen Kundschaften. Kein Wunder, daß ich in der Nacht oft und oft von Schlaf übermannt wurde. Dann schlugen mich die Gesellen. Ich konnte es einmal nicht mehr aushalten und rannte hilfesuchend zum Maxl in die dunkle Kammer hinauf. Verzweifelt weinte ich und weckte ihn. Er sprang schlaftrunken aus dem Bett und hieb blindwütig auf mich ein, daß ich entsetzt wieder davonstürzte. Triumphierend verhöhnten mich die Gesellen.
Jedesmal, wenn Mutter in der Frühe über die Stiege herunterkam, sah sie mich kummervoll an. Ich kam zu ihr in die Küche und klagte ihr vor. Sie aber wurde nur noch hilfloser und jammerte: »Mein Gott, nie ist ein Frieden! Ich hab’ keine Ruh’, bis ich ins Grab ’neinfalle!« Ich biß die Zähne zusammen, dachte an den Lenz und an jähe Flucht. Mein Haß gegen den Maxl versteinerte sich.
An den Sonntagnachmittagen, wenn wir zur hinteren Haustüre hinausliefen, schrie uns Mutter stets nach: »Machts mir aber nicht wieder Verdruß!« Sie ahnte sicher, was wir trieben. Wie zu Zeiten Lenz’ durchstreiften wir mit einigen Kameraden die Wälder und schossen blindlings jedes Wild, das uns in die Quere kam. Wir brachten es nur nicht mehr heim zum Braten und ließen es einfach im Gebüsch verenden. In unserem Grimm zerstörten wir auch jede Anlagenbank, die der eben gegründete »Fremdenverkehrsund Verschönerungsverein Berg und Umgebung« aufstellte, denn der Maxl war der Vereinsvorstand. So glaubten wir uns am besten zu rächen.
Unsere Mutter zitterte und bangte zu Hause …
An einem jener Sommertage kamen einmal zwei fremde Frauen und ein hochgewachsener, etwas nach vorne gebeugter Herr von Unterberg herauf, gingen die Dorfstraße entlang und an unserem Haus vorüber.
»Wer ist denn jetzt das? … Die Herrschaften hab’ ich doch noch nie gesehn, aber die Frau da, rechter Hand, die kommt mir so bekannt vor«, sagte unsere Mutter durch das Kuchlfenster spähend. Wir saßen bei der Brotzeit um den Tisch. Der Maxl hob sein langes Gesicht.
»Naja, Fremde sind’s eben. Unser Verschönerungsverein macht sich«, sagte er. Die Theres, die aus dem Laden kam, erzählte, daß die drei ins Windelhaus gegangen seien.
»Was? Die Windlin ist wieder da?« fuhr unsere Mutter erschreckt auf, und da erinnerte sich die Theres: »Ja-ja, richtig! Eine davon muß sie gewesen sein … Ja, ich glaub’, sie war dabei.«
»Was macht denn die auf einmal wieder da?« fragte die Mutter unruhig. Alle unseligen Erinnerungen schienen ihr wieder einzufallen. Unglück witterte sie. Doch es kam anders. Der Schmalzer-Hans, der bald darauf daherkam, murrte ärgerlich: »Dem Hans gönnt man nichts, durchaus nichts! Dem Hans gönnt man nicht einmal das kleinste Kammerl! Hast du schon so was g’sehn, die Zuchthäuslerin hat ihr Haus verkauft! … Der Hans hat sie überhaupt nicht ang’schaut, gar nicht auch! … Ein Braumeister, hab’ ich gehört, hat die baufällige Hüttn kauft … Hmhm, der Hans muß raus … Raus muß er, der Hans! Wenn die Schindmährn, die Windlin, nur gleich der Teufl holn tät!«
Schnell wußte es das ganze Dorf. Die Windlin verschwand, wie sie gekommen war, aber eine Woche später fuhren zwei große Möbelwagen vor das Haus.
»Weinzierl schreibt er sich, der neue Besitzer … Er ist ein umgänglicher Mensch … Ist nichts dagegen zu sagen! … Vorläufig, sagt er, kann ich in meinem Kammerl bleiben. Er hat eine Frau und zwei Kinder, und eine Haushälterin ist auch dabei … Soviel der Hans g’sehn hat, führt die das große Wort … Eine couragierte, stramme Person ist sie«, berichtete uns der Schmalzer-Hans.
Zunächst hielten sich alle von der Familie Weinzierl fern. Sie blieben Fremde; obgleich – und das fiel allgemein auf – die adrette, ungemein geschäftige Haushälterin überall in der Nachbarschaft herumging und sich durch ihre einschmeichelnde Geschwätzigkeit bei jedermann anfreunden wollte. Sie verschwieg offenbar nichts, doch es heißt nicht umsonst, daß Leute, die sehr viel reden, meistens das meiste verschweigen wollen. Bald, so prahlte sie, erhalte der »Herr Weinzierl« die Konzession für den Gasthausbetrieb
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