Das Leben meiner Mutter (German Edition)
solvent« und »Direktor aus Ägypten«, dann wieder dröhnte Gerhakers blecherner Baß dazwischen: »Ist gut, Herr Graf, ausgezeichnet! Machen wir! M – W, machen wir! Schicken Sie mir den Mann per Expreß! Ich hab’ die verdammte Schose schon lang satt! Ich zeig’ mich bestimmt erkenntlich, Herr Graf! M – W, machen wir!«
Vier Wochen später gehörte das »Seerestaurant« dem Ehepaar Bock. Sogleich wurde mit einem großzügigen Umbau begonnen. Ich stand zufällig mit den Unterbergern da, als der Gerhaker abzog. Er ging watschelnd durch den kiesbestreuten Wirtshausgarten. Nichts trug er als einen einzigen Koffer. Er kam auf die Straße und würdigte uns keines Blickes. Da stand die Kutsche von einem Starnberger Lohnkutscher. Das Gefährt bog sich fast bedrohlich in der Mitte, als der dicke Mann drinnen saß.
»Los! Leichten Trab, bitte! Nobel, bitte! Nicht etwa wie Flucht darf das aussehn, verstehn Sie mich! Los!« kommandierte der schnaubende Gerhaker so laut, daß es jeder von uns hören konnte. Gemächlich fuhr die Kutsche aus dem Garten, kam auf die Straße und rollte schneller dahin.
»Unrecht ist der Gerhaker nicht g’wesen«, meinte der Fischer Liedl, und der Müller setzte dazu: »Nana – aber g’sponnen hat er halt hie und da.« –
Nach einiger Zeit bekam der Maxl vom Gerhaker einen Wertbrief aus Karlsbad. Er ging rasch damit in die Stube. Wir hörten Papier rascheln, weiter erfuhren wir nichts.
Offenbar aber mußte es dem wohllebigen ehemaligen Restaurateur in Karlsbad gar nicht gefallen haben. Bei einem Besuch erzählte uns die Roßkopfin, daß sie ihn wieder in München gesehen habe. Er lebe jetzt als ewig essender und trinkender Privatier in irgendeinem Hotel und sei auch durch sein Benehmen schon wieder aufgefallen. Eines Morgens fand man ihn in seinem Hotelzimmer tot auf. »Herzschlag« hieß der ärztliche Befund. –
Unter einen gemeinsamen Brief, den wir Geschwister dem Eugen nach Augsburg schickten, wo er beim 3. Infanterieregiment diente, schrieb unsere Mutter einmal: »Lieber Eugen! Hab Kumer und Verdrus bis ich ins Grab hineifale. Der Maxl ist kein ehrlicher Geschäftsman, wie es der Vater selig gewesen is. Er schmiert die Dienerschaft und meint, das is besser, aber das pringt ihm kein Glück.«
Sie klagte nicht grundlos. Uns allen war Maxls Geschäftsführung zuwider. Mit wehrlosem Verdruß sah Mutter, wie er ab und zu das Herrschaftspersonal mit Torten, teurem Likör und sogar Geld bestach, um ergiebige Bestellungen zu erzielen. Auf Anregung des Küchenchefs vom Fürsten Barjatinsky setzte er auf die Wochenrechnung stets Beträge für nie gelieferte Waren. Mit allen Herrschaftsdienern freundete er sich an und zahlte oft große Zechgelage. Als ihm unsere besorgte Mutter einmal entgegenhielt, daß das zu nichts Gutem führe, fuhr er sie schroff an: »Quatsch! Unsinn! Das verstehst du nicht! Das macht sich zehnmal bezahlt!« –
Zur alljährlichen Kirchweih ging es in unserem Haus wie in einem Wirtslokal zu. Es aßen jetzt nicht mehr nur die alten Verwandten gemütlich in der Stube und freuten sich aneinander. Nun kreischten die übermütigen Kurgäste der Rottmannshöhe, die Köchinnen und fürstlichen Diener in Stube und Kuchl und wurden protzenhaft reich bewirtet. Man konnte sich kaum noch umdrehen in dieser drängenden, lärmenden Fülle. Unausgesetzt hatten Mutter, Leni, Theres und Emma alle Hände voll zu tun, um die gierigen Gäste zu bedienen. Unsere Mutter stand am Herd und troff vor Schweiß. Sie versuchte geduldig zu lächeln, und sie hatte auch eine weiße Schürze an. Es roch nach Braten und gebackenen Nudeln, nach vergossenem Bier und Schnaps. Der Maxl war ausnehmend lustig und schäkerte mit den städtischen Damen. Und wenn es zu dunkeln anfing, wurden Bretter vor dem Platz zwischen der Ladentür und der hohen Esche gelegt. Die Ziehharmonika fing zu spielen an. Die lauten Paare tanzten auf den hingelegten Brettern lange, lange. Wir arbeiteten schon in der Backstube, und Mutter lag droben in ihrer einsamen Kammer schlaflos.
»So was kommt alles wieder rein! Die Geschäftsunkosten machen sich bezahlt«, meinte der Maxl, wenn die Mutter anderntags auf die zugrundegegangenen Überreste hinwies, auf zertretene Schmalznudeln, auf nur halb aufgegessene Bratenstücke und auf das schal gewordene viele Bier in den herumstehenden Krügen.
»Wir wären oft froh um einen Brocken Brot gewesen!« sagte sie, doch der Maxl fertigte sie schnell ab: »Was verstehst denn du
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