Das Leben meiner Mutter (German Edition)
wieder, aber das sei noch lang nicht alles, er baue auch eine Brauerei, die Pläne seien schon fertig.
»Und Herr Maxl, Herr Bäcker-Max … Frau Graf, nicht wahr, wir wollen doch gute Nachbarschaft halten, nicht wahr … Ich darf doch auf Ihren Zuspruch rechnen. Ich leite nämlich dann die Wirtschaft«, erklärte sie.
»Von uns geht höchstens der Maxl ins Wirtshaus«, meinte unsere Mutter.
»Jaja, natürlich, natürlich, Frau Bäckerin … Ich mein’ ja bloß! Jedenfalls, darüber, denk’ ich, sind wir doch einer Meinung … Sie empfehlen mich und ich empfehl’ Sie … Hab’ ich nicht recht, Herr Bäcker-Max?« milderte sie gewissermaßen ab. Dann verließ sie wippenden Ganges unseren Laden.
Sie hatte nicht zuviel gesagt. Schon nach einer Woche kamen Maurer, Maler und Zimmerleute und renovierten das heruntergekommene Windelhaus. In den Räumen zu ebener Erde wurden die Wände durchgebrochen, und bald war eine ansehnliche, holzgetäfelte Wirtsstube fertig. Der Vorgarten mit den paar alten, schattigen Kastanienbäumen bekam Kieselbelag, frischgestrichene Stühle und Tische standen da, und über dem Eingangstor prangte eine große Tafel: »Gasthaus und Restaurant Oberberg von Jakob und Johanna Weinzierl«.
»Aber«, fragten die Leute, »was ist’s denn eigentlich mit der Frau? Die sieht man doch überhaupt nie! … Bloß die gschaftlhuberische Haushälterin, die Frau Selzle, kommt immer wieder daher.« Sehr bald stellte sich heraus, daß der Weinzierl ein Liebesverhältnis mit der letzteren hatte und sie regieren ließ, während seine unscheinbare, schweigsame Frau und die zwei blondhaarigen, etwas stumpfgesichtigen Kinder ein ziemliches Schattendasein führten. Das erregte überall geheimen Unwillen, doch Frau Selzle verstand derart einnehmend und geschickt mit Männern umzugehen und fand so viele plausible Erklärungen, daß – als die Gastwirtschaft endlich mit einer lauten Feier eröffnet wurde – nicht nur die Herrschaften, sondern auch die Berger die übrigens gut geführte Wirtsstube reichlich frequentierten. Und noch was war, das der Selzlin ein gewisses Ansehen verschaffte: sie zog Männerblicke an und verstand es trotzdem, gut bürgerlich zu erscheinen. Die Phantasie eines Dörflers ist mitunter viel verruchter, als wir gemeinhin annehmen. Viele phantasierten sich die lasterhaftesten Geheimnisse zwischen Selzlin und Weinzierl aus dem Kopf – und das zog sie an. Freilich behielt das jeder für sich.
Mit einer Vehemenz, die Erstaunen hervorrief, fingen die Maurer auch gleichzeitig hinten auf der Windelwiesen neben der Starnberger Landstraße mit dem Bau der umfänglichen Brauerei an, und Frau Selzle erzählte in unserem Laden: »Wenn die fertig ist, bleib’ ich in der Wirtschaft ganz allein. Der Herr Weinzierl zieht mit seiner Familie dann in die Brauerei.« Das ließ sich gut hören. Vor allem aber – Frau Selzle hatte wirklich nicht gelogen. Sobald die Wohnräume im mächtigen Neubau fertig waren, zogen die Weinzierls dort ein. An der übrigen Brauerei wurde noch monatelang gearbeitet. Mit seiner Sandgrube verdiente der Liedl viel Geld, denn er belieferte den Neubau mit Sand, und auch der Schatzl, der das Fuhrwerk stellte, hatte hübsche Einnahmen.
Es war überhaupt auf einmal, als entdeckten nun geschäftswitternde, erfinderische Unternehmer, wie ertragreich Berg und Umgebung seien. Sie kamen von weither, und sie gingen mit abschätzenden Luchsaugen herum. Sie sahen den belebten, lieblichen See und das vielbesuchte Königsschloß, sahen die prachtvollen Villen der Herrschaften aus allen Ländern, sahen das gutgehende »Hotel Leoni« und die schönen Wirtshäuser, die werdende Brauerei und unsere ertragreiche Bäckerei, wo es begehrte Kuchen gab. »Und«, sagte der alte Spekulant Siegl, der mit dem ehemaligen »Schlößl« des unglücklichen Kastenjakl ein glänzendes Geschäft gemacht hatte, dem die Drahtseilbahn, die »Rottmannshöhe« und die stille »Maxhöhe« gehörten, »und«, sagte er, indem er mit Daumen und Zeigefinger die Nase zusammenzwickte und wohlig zu schnuppern begann, »die, die jetzt daherkommen, das sind die Meinigen! Die Luft riecht jetzt immer so gut! Ein ganz besondrer Geruch ist das! Ich riech’ den Profit!«
Er verkaufte die »Rottmannshöhe« an einen norddeutschen Arzt. Der verwandelte den herrlichen einstigen Künstlersitz nach einigen baulichen Veränderungen in ein Sanatorium für Nervenkranke und wandte eine ganz neuartige Diätkur an, die mehr
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