Das Leben meiner Mutter (German Edition)
sie offen heraus, »und da redet er über andere! … Moni heißt sie! Sie lebt jetzt in der Stadt drinnen, und er hat ihr einen Laden eingerichtet.«
Sie schaute auf die Leni: »Du kennst sie doch, die Moni, oder?«
»Ja«, nickte die Leni und wurde verlegen. Wir alle erinnerten uns: Ein dralles Ding mit rundem, dummem Gesicht. Nichts an ihr sah nach schwerer Arbeit aus – das war die Moni.
Jetzt auf einmal verstanden wir, warum der Maxl so oft in die Stadt gefahren war.
»Und daheim sekkiert und hunzt er jeden!« rief die Emma als erste, »da knausert er und gönnt keinem was! Er aber trägt das Geld weg! Ich möcht’ nicht wissen wieviel!«
Unsere Mutter sah zermürbt ins Leere und redete wie für sich: »Und der Eugen ist fort, die Theres in der Stadt drinnen … Und wir? Wir sind der Dreck für ihn.«
Eine Pause entstand.
»Mein Gott«, fing die Leni endlich bedrückt zu beichten an, »ich hab’ mich ja als Dienstbot’ nicht in die Sach’ einmischen können, Bäckin … Der Maxl hat mir’s ja verboten … Und ich hab’ auch nichts sagen wollen wegen dem Verdruß!« Mitleidig und schuldbewußt sah sie kurz auf unsere verdrossene Mutter. »Mein Gott, Bäckin, dir bleibt auch nichts erspart.«
Sie schneuzte sich schnell, damit wir nicht merken sollten, daß sie still weinte. Beklommen saßen wir alle da, und jeder dachte in eine ganz andere Richtung. –
Von jetzt an aber schauten wir den Maxl mit ganz anderen Augen an. Der Respekt vor ihm verflog gänzlich, nur Furcht und Haß blieben. Und mit einem lauernden Mißtrauen verfolgten wir alles, was er tat.
Die Emma fand einmal einen Brief von der Moni in Maxls Winterüberzieher und berichtete: »Da schauts, der Brief ist noch vom Winter her … Da schreibt ihm die Moni, sie geht in die Isar, wenn er ihr nicht sofort hilft.« Jäh erinnerten wir uns, was für ein sonderbares Gesicht der Maxl damals geschnitten hatte, als ich vom Fensterherunterspringen der Baronesse Kapherr erzählte.
»Pah, und uns hat er gesagt, er braucht neue Zähn’!« lachte die Emma verächtlich, »der armselige Held, der! Aus lauter Angst, daß was rauskommt, hat er sich womöglich seine gesunden Zähn’ rausreißen lassen, der blöde Kerl, der!« Sie legte ihr Nähzeug hin und fuhr fort: »Da wird’s wirklich am besten sein, er heiratet bald. Nur raus aus dem Haus. Du, Mutter, mußt mit uns!«
Wir schauten alle schnell auf unsere Mutter und lasen aus ihren Zügen, wie unmöglich ihr das erschien, wie unausdenkbar: Plötzlich aus allem Gewohnten weg, aus dem Haus, dem Letzten, das ihr noch verblieben war, irgendwohin verpflanzt.
Und wir alle ebenso –! Ich konnte nicht mehr weiterdenken, wenn ich mir das ausmalte. Unvermittelt sagte ich auf einmal: »Lang bleib’ ich auch nicht mehr da!«
»Hm, ja, wo willst du denn hingehn?« fragte Emma und suchte meine Augen.
»Wohin? … Einfach fort!« stieß ich würgend heraus und ging aus der Kammer.
Ich hatte auch allen Grund, an eine plötzliche Flucht zu denken. Ganz im geheimen versteckte ich einen gepackten Koffer im Heu. Mit List schwindelte ich der Buchhalterin der Aufkirchner Sparkasse die dreihundert Mark heraus, die unsere Mutter dort angelegt hatte.
Der Schuster Lang hatte mich schon ein paarmal gewarnt. Er erzählte mir aufgeregt, daß der Briefbote dem Maxl meine geheimen Büchersendungen verraten wolle. Bang und gespannt verliefen meine Tage. Jede Stunde war ungewiß. Bei der geringsten unerwarteten Bewegung, die der Maxl machte, zuckte ich furchtsam zusammen.
»Kerl! Was hast du denn?« fuhr er mich höhnisch lächelnd an.
»Nichts«, log ich und zwang mich gewaltsam zur Ruhe.
Der Gugger, der neue Geselle, war in seiner Wut noch unberechenbarer als der Maxl. Beständig mußte ich vor ihm auf der Hut sein. Einmal rannte er mir mit dem langen Teigmesser nach, einmal warf er mir einen Zweizentnersack auf das Genick. Tagelang tat mir der ganze Körper weh, aber wer sollte denn helfen? Zur Mutter sagte ich nichts mehr, und der Maxl schlug nur wieder. Fast sechs Jahre dauerte das nun schon. Ich würgte alles in mich hinein. Wehmütig trauerte ich dem Beckenbauer nach, dem Sozialdemokraten. Dumpf nahm ich mir vor, wenn ich davongehe, suche ich ihn einfach auf und sage: »Rot ist unsere Fahne!« Das wird ihm gefallen und er wird mir sicher weiterhelfen. Dieser Gedanke machte mich ein wenig freier. –
Um fünf Uhr früh, bevor die Wecken in den Ofen geschoben wurden, war eine Pause. Da stellte sich der
Weitere Kostenlose Bücher