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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Mutter vom Herd her, ohne sich umzudrehen. Ich plagte mich mit Gewalt, überlegen zu sein, und antwortete: »Ah, die Resl! Die ist wie der Maxl! Immer kommandiert sie so ’rum an mir!«
    Die Emma sah auf meinen zerschlissenen Sonntagsanzug. Meine Uhr und Kette waren längst auf dem Versatzamt. Schlampig sah ich aus.
    »Einen neuen Anzug tät’st auch bald brauchen«, sagte Emma. Ich überhörte es und trank meinen Kaffee aus.
    »Wenn nur jedes sein Fortkommen hat«, redete Mutter darein, wie aus einer schweren Gedankenreihe heraus. »Soso, zweiundzwanzig Mark verdienst du? … Unser G’sell hat allweil bloß seine zwölf, aber dafür ’s Essen und die Wasch’ …«
    »Ja, ich muß wieder fort«, sagte ich endlich und stand auf.
    Mutter drehte sich um und schaute mir noch einmal wehmütig in die Augen: »Jetzt schon? … Ja, also b’hüt Gott, und schreib fein, ja!«
    Ich versprach es, und Emma und Anna begleiteten mich. Auf dem Weg erzählten sie mir, daß der Maxl verboten habe, mir noch weiter Pakete zu schicken, daß sie es aber heimlich machen würden.
    »Soso, verboten? … Aber er hat alles gekriegt, wie er auf Wanderschaft gewesen ist!« tat ich beleidigt und wurde plötzlich pathetisch: »Aber euch, nur euch sag’ ich’s – ich bin ein großes Talent, das sagen alle! Einmal bin auch ich was, dann wird sich unsere Mutter freuen, und der Maxl ist blamiert. Ich hab’ jetzt schon allerhand Aussichten.« Einfältig war es aus mir herausgekommen. Im Augenblick aber glaubte ich es durchaus. Ich sprach von meinen Gedichten, und daß ich bald ein Theaterstück fertig habe, das bereits ein Verleger drucken möchte.
    »Was? Ein Theaterstück? … Ah, wenn das aufgeführt wird?!« rief Emma begeistert, und ich fügte überheblich hinzu, das sei sehr leicht möglich.
    »Ah, das wird fein«, begeisterte sich Emma noch mehr. »Da fahren wir dann alle in die Stadt und gehn ins Theater. Da schneidere ich mir ein extra schönes Kleid dir zu Ehren.« Sie lächelte jungmädchenhaft. Sie versprach, ihre ganzen Ersparnisse zu geben, und drang dann auch noch in die Theres, sie möge etwas beisteuern, denn der Verleger verlangte vor Herausgabe des Buches die Druckkosten. Ich schickte das Geld und – in zwei Wochen erhielt ich einen gerichtlichen Bescheid, daß die Firma bankrott gemacht habe.
    »Da hast du’s jetzt mit deinen verstiegenen Einbildungen! … Er – und dichten, geh! Und wir haben den Schaden davon! … Der Maxl wenn das wüßt’, und der Mutter können wir gar nichts sagen davon!« schimpfte Theres in mich hinein, »such dir endlich eine ordentliche Arbeit! Dichten können sich nur reiche Leute erlauben.« Ich war zerknirscht, aber auch beleidigt. Vor allem verletzte es mich tief, daß Theres, die ja immer sehr skeptisch meinen Plänen gegenüber war, wieder recht bekommen hatte. Voll Wut lief ich in der Stadt herum und fand endlich eine Stelle als Liftboy in einem Geschäftshaus. Theres war gerührt über meinen guten Willen. Der Lohn, den ich bekommen sollte, reichte kaum zum Essen.
    »Da, daß du in den ersten Wochen was zuzusetzen hast«, sagte sie und gab mir dreißig Mark. »Emma und ich können dir jetzt nicht mehr helfen … Das ist von der Mutter.« Ich wußte: Wenn Mutter sich Geld beiseite legte, kam sie sich wie eine Diebin vor.
    In drei Tagen sollte ich die Arbeit beginnen. Ich suchte, nachdem ich von Theres weggegangen war, sogleich meine Freunde aus der Boheme auf, und mit einigen Mädchen vertaten wir das Geld in einer Nacht. Am anderen Tag kam ich mit einer Leichenbittermiene zu Theres und log ihr vor, ich hätte das Geld verloren.
    »Pech! Nichts als Pech hab’ ich!« klagte ich mit gut gespielter Verzweiflung, »das darf unsere Mutter gar nicht erfahren, sonst grämt sie sich halbtot.« Noch einmal gab mir Theres zehn Mark.
    Zum Lügner aus Furcht, Haltlosigkeit und Mißtrauen war ich geworden. Gutes und Schlechtes konnte ich nicht mehr unterscheiden, und wahrscheinlich deswegen haßte ich sogar die Menschen, die mir am nächsten standen. Ich haßte und betrog sie aus instinktiver Rachsucht, weil ich sie wegen ihrer natürlichen Selbständigkeit beneidete.
    Es war ein bitterkalter Winter. Als Liftboy mußte ich den ganzen Tag in einem zugigen Hausgang stehen und bekam schon nach einer Woche schreckliches Gliederreißen. Ich schleppte mich heim in mein Zimmer, legte mich ins Bett, ließ einen Arzt kommen und schrieb nicht einmal eine Entschuldigung an meinen Dienstgeber. Ich

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