Das Leben meiner Mutter (German Edition)
zu kochen. Irr schaute ich irgendwohin, brüllte auf wie weinend und lief davon.
Auf der morgenkühlen Straße war es still. Ich rannte wie gejagt und hielt endlich inne. Ich hätte mich selber anspukken können.
Ich merkte, daß es Sonntag war. Mit meinem letzten Geld fuhr ich nach Starnberg und lief stundenlang in den Wäldern der Umgebung herum. Ich kannte jeden Weg, jeden Strauch, der frische Tag war voll aufgewacht, Tau glänzte auf den dichten Ästen der Jungtannen, und die Vögel sangen. Langsam verwich meine Jämmerlichkeit. Ich stand auf dem schroff abfallenden Hügelkamm im Kempfenhausener Holz, von wo man weit hineinsehen kann in das muldige Tal von Haarkirchen. Alle Abenteuer meiner Jahre daheim fielen mir ein: Das Brotaustragen und Schweifen durch diese Waldstriche, unser Wildern, das stundenlange Dahocken auf irgendeinem Stamm mit einem Buch in der Hand, aus dem ich mir selber laut vorlas.
Ich setzte mich hin und lugte zum klaren, ruhigen Himmel empor. Ich versuchte in die nächste Zeit zu denken, in meine Zukunft und wurde wieder bedrückt. Ich stand auf und wanderte wieder weiter, einfach sinn- und ziellos weiter. Endlich am Nachmittag kam ich nach Percha. Ich wußte, jetzt war der Maxl nicht mehr daheim. Er war fortgeradelt oder in einem Wirtshaus. Ich telefonierte Anna zu Hause an, und wir trafen uns. Ich wurde redselig und erzählte von meinen dichterischen Plänen. Verständnislos hörte sie zu und sagte nur: »Geh doch mit heim. Die Mutter freut sich so drauf. Kannst ruhig kommen!«
Daheim war es wie immer. Die »alte Resl« hockte auf dem Kanapee, lächelte und plapperte zahnlos: »O-oka! Ooka!« Die kleine Peppi, Eugens ledige Tochter, hing – wie einstens wir – am Rock der Mutter.
Die Leni sah mich geschwind an, wurde rot, schlug die Augen nieder, und ich wich ihren Blicken aus. Die Emma freute sich, und Mutter grüßte wie erleichtert.
»Groß wirst du jetzt, Oskar! Ein richtiger junger Herr schon, aber elegant bist du gar nicht«, sagte Emma und musterte mich.
Viel bekümmerter betrachtete mich Mutter und meinte: »Hm, jetzt hat er’s, der Maxl! Jetzt muß er jede Nacht in der Bäckerei mithelfen! … Notwendig könnt’ man dich brauchen jetzt, Oskar.« Sie machte Kaffee wie immer, wenn sie Besuch hatte, und vom Herd her fragte sie, ob ich schon eine Stelle hätte. Ich log auf einmal und nannte irgendeine bekannte Bäckerei in München.
»Soso, Gott sei Dank … Und was verdienst du denn da?« wollte sie wissen, und wieder log ich: »Zweiundzwanzig Mark in der Woche.«
»Das ist ja ein Haufen Geld … Da kannst du dir auch was ersparen, und kein Mensch kann dir mehr was einreden … Tüchtige Bäcker braucht man immer«, sagte sie zufrieden.
»Gehts weiter, Emma, machts ihm ein Paket«, wandte sie sich an die, und als wir allein in der Kuchl waren, redete sie mit mitleidiger Zärtlichkeit weiter: »Du bist noch so jung, Oskar, und hast schon in die Welt ’naus müssen! Die andern haben alle was lernen dürfen …« Sie stellte die Kaffeetassen hin und einen großen Teller mit Schmalznudeln. Ich saß da, bedrückt und beschämt, aber doch so, als wär’ ich endlich wieder geborgen.
»Iß nur! … Die Nudeln sind diesmal schön worden. Gell, gut sind s’«, sagte Mutter und tauchte einen Brocken in den braunen, dampfenden Kaffee. Gemächlich erzählte sie weiter: »Der Maurus schreibt, er geht jetzt von Bamberg weg … Er geht vielleicht auch nach München.« Immer wenn sie von Briefen erzählte, bemühte sie sich hochdeutsch zu reden. Dieses »nach München«, das sie so herrschaftlich fein hersagte, war mir aber gar nicht recht.
»Da könnts dann beinander sein, du und der Maurus«, meinte sie fortfahrend. Ich schwieg und dachte: Nur nie zusammen mit einem der Unsrigen in der Stadt. Ich hatte ein zu schlechtes Gewissen.
Die Emma und die Anna kamen vom Laden zurück und stellten ein großes Paket auf den Tisch: »Da, das hilft dir wieder eine Zeitlang.« Sie setzten sich und nahmen ihren Kaffee. Die Leni ging hinauf und machte sich zur Stallarbeit zurecht. Mutter stand auf und stocherte den Sautrank auf dem Herd mit dem großen Holzlöffel ineinander. Ich schaute stumm in der langsam sich andunkelnden Kuchl herum und dachte mit Grauen an mein wüstes Leben in der Stadt. Anna und Emma musterten mich während des Kaffeetrinkens und Nudelessens immerfort.
»Ist’s denn wahr, was die Resl immer schreibt, daß du mit lauter so seltsamen Leuten herumläufst?« fragte
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