Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Verstorbene »nie in diesem Boden was zu suchen« hätten. Jetzt aber stand auf dem Grabstein »Familiengrab Roßkopf«, doch den Spruch: »Gerecht gelebt und arm gestorben« hatten sie stehen gelassen. Und in dieses Grab, in das man jetzt den toten Quasterl senkte, legte man dereinst auch sie! –
Es war Herbst geworden. Der Maurus kam in die Stadt. Er verlangte sein Geld. Ich hatte es verbraucht. Im ersten Augenblick konnte er es überhaupt nicht glauben. Unschlüssig stand er ein paar Sekunden lang da. Dann erbleichte er und stürzte sich wütend auf mich. Ich wehrte mich nicht. Die kräftigen Hiebe sausten auf mich nieder. Noch während des Zuschlagens weinte der wutschlotternde Maurus. Verstört sah er mich an und zischte: »Weißt du, was du bist? … Eine Qualle, die man zertreten soll! Ganz recht hat der Maxl gehabt, erschlagen sollt’ er dich haben.«
Er drehte sich schnell um und rannte davon. Krachend flog die Tür zu. Ich rührte mich lange nicht und starrte leer ins Leere. Dann auf einmal befiel mich eine grenzenlose Verzweiflung. Ich verstand mich nicht mehr. Ich fing zu weinen an und weinte immerzu. »Der Maxl hat recht gehabt«, ging mir durch den wirren Kopf, »eine Qualle bin ich … Mein Gott, mein Gott, Mutter!« Mein Hirn schien auszurinnen. Ich lag da wie unter Trümmern.
Der Maurus hatte in Augsburg eine Stellung gefunden. Von dem, was zwischen uns vorgefallen war, erfuhr niemand etwas. Theres’ Lehrzeit war abgelaufen. Sie lebte wieder daheim. Mit meiner jüngeren Schwester Anna war der Maxl einmal kurzerhand in die Stadt gefahren, hatte sie wie ein Hündchen an der Hand geführt und war von Laden zu Laden gegangen.
»Ich möcht’ einmal fragen, ob Sie kein Lehrmädl brauchen?« fragte er jedesmal und schob dabei die verschüchterte Anna, die alles mit sich geschehen ließ, näher an den Ladentisch heran. Ein Friseur hatte sie schließlich genommen. Ich sah sie nur selten. Ich wollte auch nicht. Alles Vorhergegangene, Gewesene wollte ich in mir auslöschen. Ich verwahrloste innerlich und äußerlich immer mehr.
Und es wurde Winter, Frühling und Sommer.
Um jene Zeit bekam ich von Emma, die noch immer gleicherweise an mir hing, einen langen Brief.
Er lautete:
»Lieber Oskar!
Was machst Du denn immer und wie geht es Dir? Ich denke oft an Dich, und unsere Mutter grämt sich sehr viel, weil sie so wenig von Dir hört! ›Wo ist denn der Oskar? Was macht er denn?‹ fragt sie oft und oft. Du weißt nicht, wie sie an Dir hängt.
Weißt Du noch, wie wir in meiner Nähkammer zusammengesessen sind und haben geschwärmt und Luftschlösser gebaut? ›Schön ist die Jugend – sie kommt nicht mehr!‹ heißt es in dem Lied, das wir immer gesungen haben. Das hat der Vater besonders gern gehabt. Erinnerst Du Dich noch, wie wir am Samstag nach Feierabend, wenn wir die ganzen Schuhe geputzt haben, hinten am Backofen immer gesungen haben? Ja, da war’s noch anders. Jetzt ist das wirklich alles vorüber.
Der Maxl heiratet, und ich und Theres haben im ersten Stock vom Kramerhaus drei Zimmer gemietet. Da ziehn wir mit unserer Mutter nach der Hochzeit hin. Die Theres macht ihre Damenhüte, ich schneidere, und Mutter führt uns den Haushalt. Wir haben keine Angst, daß es nicht geht, und es wird sicher recht gemütlich bei uns. Da mußt Du uns dann öfter besuchen, wenn Du kannst.
Du kannst Dir denken, wie schwer es unserer Mutter wird, vom Haus wegzugehen. Sie ist jetzt immer sehr zerstreut und nervös, geht oft mitten am Tag nach Aufkirchen auf das Grab und sieht sehr gealtert aus. Schreib ihr doch einmal, das freut sie.
Über den Maxl muß ich Dir viel erzählen.
Beim Mittagessen hat er einmal eine Torte vom Laden herübergeholt und hat ganz sonderbar freundlich gesagt: ›Die könnt ihr essen. Da, Mutter, das gehört dir!‹ Wir waren verdutzt und haben ihn verwundert angeschaut, denn so was ist doch noch nie vorgekommen. Er hat ein verlegenes Gesicht gekriegt, lacht dumm und platzt auf einmal heraus: ›Ja, Mutter, ich will jetzt heiraten.‹ Dabei hat er sich kaum getraut, uns ins Gesicht zu schauen. Er hat noch immer so gegrinst, und vielleicht hat er gemeint, er erzählt uns was Neues, aber wir haben doch schon lang alles gewußt. Trotzdem hat die Mutter gefragt: ›So? Heiraten willst du? Was hast du denn für eine Hochzeiterin, daß du sie uns noch gar nicht gezeigt hast?‹ Da hat der Maxl von der Moni zu erzählen angefangen und gesagt, sie kriegt eine Kuh, einen schönen Batzen
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