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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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hatte die Stelle verloren, aber als Theres zu Besuch kam, stritt ich wütend mit ihr, und mein ganzer Haß auf alle und alles kam zum Ausbruch. Nachdem ich wieder halbwegs gesund war, verschluckte mich die Boheme von neuem. Einmal in sie geraten, war man doch nicht mehr ganz verloren. Irgendeiner hatte immer so viel, daß er die Freunde durchfüttern konnte. Es herrschte eine selbstverständliche Kameradschaft.
    Und man war ungebunden, frei, ganz frei. Mein Haß gegen die Menschen, die ich gewissermaßen hinter mir ließ, verhärtete sich. Ich wollte nichts mehr wissen von ihnen. Ich versuchte ihnen auszuweichen, aber es ging nicht. Und wenn ich mit ihnen wieder zusammentraf, gab es nichts als Katastrophen.
    Als Maurus von Bamberg nach München kam, tat ich sehr erfreut über das Wiedersehen. Wir sprachen wie in einstigen glücklichen Zeiten von Büchern und Dichtern, und er machte sich lustig über meine Schreibereien.
    Ich log ihm vor, bei der Hofbäckerei Seidl zu arbeiten, und brachte alles so glaubhaft heraus, daß er nicht den mindesten Zweifel hegte. Maurus fragte: »Hast du dir auch schon was erspart?«
    »Ja, allerhand«, log ich. Das gefiel ihm. Er war immer ein großer Sparer gewesen.
    »Weißt du was, Oskar?« fing er an, »gern tu’ ich’s ja nicht, aber der Maxl hat geschrieben, ich soll heimkommen. Er braucht mich in der Konditorei und will mich sogar bezahlen. Ich such’ mir vorläufig keine Stellung, ich geh’ heim … Da hast du mein Geld. Die daheim brauchen es nicht zu wissen. Leg es auf deine Sparkasse. Wir sparen miteinander, legen das Geld zusammen, und wenn wir genug haben, dann machen wir uns einmal ein paar Monate freie Zeit und lassen’s uns gut gehen.« Ich stockte kurz. Ich zitterte innerlich. Tief erschrocken, sah ich voraus, daß ich diesem aufrichtigen Vertrauen nicht gewachsen war. Dann aber nahm ich kaltblütig die dreihundert Mark, die er mir gab, und tat, als freue ich mich ungemein. Er fuhr heim, schickte mir jede Woche seine Ersparnisse und fragte in jedem Brief: »Wieviel haben wir jetzt schon?« Ich antwortete stets mit einer fiktiven Zahl. Anfangs verbrauchte ich nur ein paar Mark des Geldes, langsam aber wurde ich widerstandloser, und endlich gab es kein Halten mehr. Fad und fatal floß durch mein Hirn: »Er wird dich totschlagen! Wenn schon! Totschlagen ist vielleicht das Beste für so einen wie mich!«
    Zeitweise würgte dieser Verrat in mir, doch ich dämmerte immer tiefer in das Verlorensein hinein. Ich geriet auch in Kreise, die dieses Absinken eher förderten als aufhielten. Durch meinen Zimmernachbarn bekam ich Zutritt zu dem kleinen anarchistischen Zirkel, den Erich Mühsam leitete. »Anarchisten« – das Wort lockte mich, und ich stellte mir eine finstere Verschwörergruppe in tiefen Kellern, mit Bomben und anderen Mordgeräten vor. Doch ich traf nur einen kleinen, harmlosen Verein von Arbeitern und Intellektuellen, die in einem Gasthausnebenraum über anarchistische Gesellschaftsordnung diskutierten. Sie musterten mich zunächst sehr mißtrauisch und fragten hin und her. Ich gab die einfältigsten Antworten, und mein Zimmernachbar empfahl mich immerzu als absolut zuverlässig.
    Ich wartete, ob nicht plötzlich eine Falltür aufginge, die zu einem Bombenkeller führe, aber nichts von alledem. Erich Mühsam hielt eine kurze Rede, und einige machten ab und zu beifällige Bemerkungen.
    Mühsam war schmächtig und schmalschulterig, mittelgroß und sehr beweglich. Er trug eine scharfe Brille, und seine dahinterliegenden kleinen Augen glänzten lebhaft. Der dichte, zerzauste Schnurr- und Vollbart und die langen Haare erweckten den Eindruck, als sei sein Kopf viel zu groß und zu schwer. Er sprach geschwind, außerordentlich bildhaft, mitunter sehr sarkastisch, und als er gegen die Beteiligung des Arbeiters am Krieg und für die Verweigerung des Militärdienstes sprach, horchte ich auf. Mir fiel der Michael Beckenbauer ein. Ich spähte herum, aber er war nicht da, ich sah nur fremde Gesichter – auf einmal aber fing Mühsam gegen die Sozialdemokraten zu wettern an, und nun wurde ich wirr.
    Dennoch fand ich den Anarchismus ausgezeichnet und nannte mich in den Bohemekreisen von jetzt ab so. Ich verkaufte Broschüren und Zeitungen der Anarchisten, und es schien mir, als hätte ich jetzt endlich eine passende Aufgabe gefunden. Anfänglich noch schwankend, gewann ich nach und nach eine plumpe, robuste Selbstsicherheit und nannte einfach alles, was nicht in mein Leben

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