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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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blinzelte sie mich an. Eine große Erleichterung hellte ihre Züge auf. Ihre alte, gesunde, derbe Lustigkeit glomm über ihr zerlittenes Gesicht, und verschmitzt sagte sie: »Haha! Du hast einfach jedesmal alle ausgelacht? … Haha, jaja, der Dümmste bist du noch lang nicht!« Sicher war sie tief in ihrem bäuerlichen Herzen zufrieden darüber, daß man sogar der allmächtigsten Obrigkeit mit gerissener Schlauheit ein Schnippchen schlagen konnte. Das entsprach ihr ganz und gar.
    Es gab wenig Arbeit im Haus. An allem war Knappheit. Ich buk das wenige schwarze, mit Kleie vermengte Brot, das wie ein haltloser Brei auseinanderlief, solange es noch Teig war. Schnell bekam es im Ofen eine steinharte Kruste und blieb inwendig doch klebrig und feucht. Kaum einen Tag alt, begann es zu schimmeln.
    »Batzen! … Früher sind nicht einmal die Hundslaibeln so gewesen«, sagte die Mutter.
    Der Maurus kam auf Urlaub heim. Sie müßten jetzt weg aus den Vogesen und kämen in die mörderische Schlacht vor Verdun, berichtete er bedrückt.
    »Und nicht hören sie auf, nicht!« sagte Mutter bekümmert. »So schlecht, wie’s jetzt ist, ist’s anno 70 nie gewesen …« Sie blickte traurig auf Maurus. Der Zwist zwischen ihm und mir war längst verweht. Wir verbrachten die kurzen Tage wie in unseren glücklichsten Zeiten. Als er wieder fort mußte, sah unsere Mutter sehr mitgenommen aus. Heimlich packte sie ihm einen doppelt geweihten Rosenkranz in den Proviant, den sie für ihn zusammengespart hatte. Als er ihr dann die Hand drückte, hielt sie sich standhaft und meinte nur: »Ich bet’ schon, daß dir nichts passiert … Und gell, bet’ halt du auch hie und da!«
    Ich fuhr mit Maurus nach München. Auf dem Bahnhof sagte ich zu ihm: »Warum machst du eigentlich den ganzen Schwindel weiter mit? Hau doch einfach einen Unteroffizier oder Feldwebel über den Haufen! Du wirst sehn, sie stecken dich genau so ins Irrenhaus wie mich und lassen dich schließlich laufen … Nur so kommt man gegen diesen Irrsinn auf!«
    Ihm aber kam das unmöglich vor. Er war zwar sehr spöttisch, manchmal sogar zynisch, doch stets durchdrungen von einer fast ängstlichen Ordentlichkeit. Wehmütig nahmen wir voneinander Abschied …
    Unter irgendeinem Vorwand fuhr jetzt die Moni manchmal in die Stadt, oder sie besuchte ihre Eltern in der Ammerseegegend. Jedesmal zog sie ihr bestes Kleid an und besprenkelte sich mit Duftwasser.
    An einem dieser Abende, nachdem ihre Kinder zu Bett gebracht worden waren, saßen wir in der Kuchl. Draußen riß ein trockener Sturm an den Fensterläden. Mutter stopfte Socken. Emma, die nicht gern allein sein mochte, saß im hohen Lehnstuhl und hüstelte hin und wieder trocken. Dann nahm sie einen Suppenlöffel voll brauner Medizin, die ihr ein Kurpfuscher gegeben hatte, der ihr empfohlen worden war. Sie schwor auf ihn, und es schien auch, als bessere sich ihr Gesundheitszustand. Theres machte Eintragungen in die Geschäftsbücher, und ich las die Zeitung. Sie interessierte mich in letzter Zeit sehr. Gespannt verfolgte ich die spärlichen Nachrichten über die russische Revolution. Zum erstenmal tauchten die Namen Lenin und Trotzki auf.
    »Die Moni geht auf Brautschau … Das beste ist’s auch, wenn sie wieder heiratet«, sagte die Theres, ohne von ihren Büchern aufzuschauen.
    »Jaja, es schaut ganz danach aus«, meinte unsere Mutter.
    »Uns gehört ja doch nichts mehr, und schließlich – ihre Kinder müssen doch wieder einen Vater haben«, redete die Theres weiter. Unsere Mutter bekam besorgte Stirnfalten: »Hm, was aus denen einmal werden soll?« Der ältere vom Maxl war erst sieben Jahre alt. Alle drei Buben hingen viel mehr an unserer Mutter als an ihrer eigenen.
    »Jedenfalls, wenn sie heiratet, die Moni, da muß alles genau gerichtlich gemacht werden, daß die Kinder nicht zu kurz kommen«, meinte die Theres resolut.
    »Ja, und wir? … Sollen wir denn wieder ins Kramerhaus ziehn? … Die Emma ist doch so krank, und du mit deiner Hutmacherei, das bringt doch jetzt auch nichts ein!« wandte Mutter ein.
    »Ich? … Ich bin bald wieder gesund, Mutter! Ich spür’s, es geht aufwärts mit mir. Die Medizin ist ein wahres Wundermittel!‹‹ mischte sich nun auch Emma ein. An jedem Wort hing eine fast kindliche Zuversicht.
    »Und du?« sah mich Theres schräg an, »du kannst doch auch nicht ewig daheim bleiben! Es ist doch gar nichts zu tun da.«
    »Ich kann jederzeit gehn«, erwiderte ich frostig, weil mich dieser Ton

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