Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
ein wenig an den Maxl erinnerte.
    »Hm«, machte Mutter, und wie um mich zu trösten, fügte sie hinzu: »Es ist auch nichts mehr in dem Haus, wo ich mich so viel geschunden und geplagt hab’ … Wenn ein Fremder reinheiratet, geht alles auseinander. Dann weiß keiner mehr, wo er hingehört.« Sie sah schwer und schweigend vor sich hin. Ihr faltenüberzogenes Gesicht bekam einen Ausdruck, als würde ihr in diesen kurzen Augenblikken die ganze, grenzenlose Vergeblichkeit ihres Mühens bewußt. Emma, der dies nahe ging, schaute zärtlich nach ihr. »Mutter, schau«, fing sie an, »diesmal ist’s nicht mehr so arg wie das erstemal, wie du weg bist vom Haus … Unsere Möbel stehn ja noch beim Kramer droben. Wir brauchen bloß hinaufgehen … Und verlaß dich drauf, wir machen’s schon recht gemütlich … Plagen brauchst du dich auch nicht mehr soviel!« Wortlos fragend sah ihr unsere Mutter in die Augen, als wollte sie sagen: »Mein Gott, Emma, was redest du denn? Das Plagen ist’s doch nicht … Hm, und du bist auch bloß noch ein halber Mensch!«
    Der Zwerg in der Kanapee-Ecke plapperte hinein: »Maurus fort, weid foord …«
    Am andern Tag fuhr ich in die Stadt. Vor dem Weggehen raunte mir Mutter sonderbar geschwind zu, fast so, als vertraue sie mir ein Geheimnis an: »Komm nur öfter, Oskar! … Ich bin jetzt oft so allein.«
    Ich nickte mechanisch und suchte erstaunt ihre Augen: »Du hast doch die Emma und die Resl, Mutter! … Und der Moni ihre Kinder sind auch immer um dich rum …«
    »Jaja, schon, schon«, erwiderte sie und wiederholte: »Gell, komm nur, Oskar, komm öfter! Mit dir ist am besten zu reden …«

Der große Irrtum
    Nach dem neuen Kriegsgesetz sollte ich mich in der Stadt eigentlich zum sogenannten »Vaterländischen Hilfsdienst« melden, um in einem militärwichtigen Betrieb zu arbeiten. Ich fand aber sehr schnell eine Stelle als Bäcker und kümmerte mich nicht weiter. Ich verdiente gut und stahl – wie das alle taten – Keks, Fett, Eier, Mehl und Zucker und hatte keinen Mangel.
    An den Sonntagen besuchte mich hin und wieder meine jüngere Schwester Anna, die inzwischen ausgelernt hatte und noch immer beim gleichen Friseur war. Sie war ein gewecktes, frisches Mädchen geworden und lebte auf, wenn wir uns gegenseitig von unserer frühesten, glücklichen Jugend erzählten.
    »Du«, sagte Anna einmal, »die Leut’ sind jetzt frech! Neulich hat ein Herr bei uns im Laden gesagt, der ganze Krieg ist ein Schwindel, und der Kaiser wird bald davongejagt.«
    »So? … Hm! … Und das hat er ganz offen im Laden gesagt?« forschte ich interessiert.
    »Jaja, ganz offen. . . Und es ist ein ganz feiner Herr gewesen«, bestätigte Anna. Sonderbarerweise versetzte mich dies in Unruhe. Wenn man es schon wagt, so herumzureden, dann mußte es bereits viel mehr Kriegsgegner geben, als ich annahm.
    Ich war stets ein motorischer Arbeiter. Der Grund war nicht etwa kriegerischer Fleiß. Ich werkelte mehr aus einer dumpfen Wut heraus, unentwegt und finster und immer mit dem Gedanken, alles schnell hinter mich zu bringen. Denn im Grund genommen betrachtete ich das alles für vorübergehend. Annas Worte hatten mich, ich wußte nicht warum, in einen rebellischen Schwung versetzt. Sonst kam ich jeden Abend auf mein Zimmer, schlang rasch irgend etwas in mich hinein, legte mich hin und schlief ein. Jetzt war auf einmal alle Müdigkeit verschwunden. Eine unerklärliche Spannung trieb mich Abend für Abend durch die Straßen der Stadt, in die Bierlokale und Kaffeehäuser.
    Die politischen Ereignisse zogen mich in ihren Bann. Es war so viel geschehen in der letzten Zeit!
    Den Kerenski hatten die russischen Bolschewiki unter Lenin und Trotzki verjagt. Mit einem Funkspruch »An alle!« wandten sie sich an die Völker der Welt und forderten sie auf, gegen ihre Regierungen zu kämpfen, um einen raschen, allgemeinen Frieden zu erzwingen. »Es lebe die Weltrevolution!« stand stets unter ihren Manifesten. »Revolution« war jetzt kein verschwommener historischer Begriff mehr, sondern etwas durchaus Vorstellbares geworden. Zwar mußten die Bolschewiki sich zunächst von den Generalen Ludendorffs einen harten Frieden diktieren lassen, doch die Sympathie der deutschen Arbeiter und Frontsoldaten wandte sich ihnen mehr und mehr zu.
    Dazu kamen bei uns die Gerüchte vom Versagen unserer Fronten, von Hungerkrawallen und lokalen Streiks, und von Zeit zu Zeit sah man auch in München immer wieder einen Zug von Frauen, die,

Weitere Kostenlose Bücher