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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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laufen mußten, um noch für einen einigermaßen erschwingbaren Preis einige minderwertige, kärgliche Lebensmittel zu bekommen, während alte, solide Geschäfte zu Dutzenden bankrott machten und in rasendem Tempo eine Unmenge neuer, höchst fragwürdiger Unternehmungen, Spekulationsbanken und weitverzweigter Konzerne entstanden, die oft ebenso schnell wieder zusammenbrachen, um abermals neuen Platz zu machen – in all diesem unaufhörlichen Zerfallen, diesem schwindelnden Absturz ins Ungewisse, den offenbar niemand aufhalten konnte, wurde als einziger der Bauer reich und immer reicher. Er hatte, was die anderen brauchten, und feilschte jetzt gleichsam aus Rachsucht, weil er früher stets zu kurz gekommen war, mit der geringsten Kleinigkeit hartnäckig, ehe er sie weggab. Schnell kannte er den Kurswert der ausländischen Valuten, und der Dollar zog ihn am meisten an. Er bekam zu dieser Zeit Summen in die Hand, mit denen er sich alles leisten konnte.
    In Berg war es nicht anders als in jedem Dorf. Der Maurus konnte gar nicht genug Liköre und seltene Delikatessen herbeibringen. Die übermütigen Dörfler bezahlten jeden Preis in Inflationswährung. Nach Jahrhunderten lebten die Bauernleute zum ersten Male aus dem Vollen, kümmerten sich um nichts anderes als um ihr jähes Wohlleben und verloren nach und nach jedes Maß. Sie spekulierten und soffen, sie stellten ihre heimeligen Stuben mit geschmacklosen, teuren Möbeln voll, kauften Klaviere, Grammophone und Motorräder und ließen ihre Häuser und Ställe von Grund auf renovieren.
    Unsere Mutter saß in der niederen, einfensterigen Kuchl und fertigte, wenn sie Zeit dazu fand, aus alten, zusammengenähten Stoffresten warme Hausschuhe an, die sie ab und zu verkaufen konnte. Die paar verdienten Banknoten wollte sie als Spargroschen für schlechtere Zeiten zurücklegen, doch der Maurus klärte sie auf.
    »Die gelten doch morgen schon wieder weniger, Mutter! Bloß weg mit den Papierfetzen, sonst kannst du sie in einem Monat verbrennen!« sagte er. Sie war überrascht und betrübt und begriff durchaus nicht.
    »Tja, wenn das Geld nichts mehr gilt, nachher geht doch alles zugrund!« rief sie und schüttelte den Kopf. »Da mag ja überhaupts keiner mehr arbeiten! … Hm, ist das eine Welt! … Ich versteh’ gar nicht, wie es jedem im Dorf so gut gehen kann! Der Kagerbauern-Hans tragt jetzt bloß noch seidene Hemden, hmhm, und sagen tut er, die groben leinenen kratzen ihm die Haut auf. Holzhandeln tut er und ist sein Lebtag ein Tagwerker gewesen! … Der Schreiner-Michl hat sich ein Motorrad gekauft, und um den sündteuren Schnaps raufen sie sich bei dir, hmhm! … Die Schatzl-Kathl hat sich jetzt in der Stadt drinnen ein Miethaus gekauft. Da, sagt sie, liegt ’s Geld am sichersten … Früherszeiten haben doch die Bauernleut’ nicht so viel Geld gehabt … Wie kommt denn das?« Der Maurus und die Theres lächelten mitleidig und versuchten ihr alles klar zu machen. Sie sagten viel vom Dollar.
    »Hmhm, jetzt so was! Früher ist das ein falsches Geld bei uns gewesen … Hmhm! Ich kenn’ mich da nimmer aus!« brümmelte sie noch immer kopfschüttelnd. Vor einiger Zeit hatten endlich der Eugen und der Lenz wieder aus Amerika geschrieben, wie es ihnen in den Kriegsjahren ergangen sei. Der Eugen berichtete, er habe eine gutgehende Bäckerei in Montana, die im Krieg geschlossen worden sei, aber jetzt sei wieder alles »allright«. Der Lenz sei Bäckergeselle im Mittelwesten, aber ein ganz unmöglicher Mensch. Er saufe bloß immer, aber er werde ihm schreiben, daß er auch etwas hören lasse. Der Lenz schrieb auch etliche Briefe, aber darin stand nichts von seinen Erlebnissen während der Kriegszeit. Er schrieb belustigend wirres Zeug, ungefähr so: »Ach mein liebes Bruderherz Maurus, weißt du, ich hab’ da die Bibel gelesen. Da steht immer drinnen, du mußt ein good man sein, but das ist ja Unsinn, da kommt man nicht weiter … Und dieser Nietzsche, weißt du, der läßt auch viel zu wünschen übrig …« So ging das oft etliche Seiten lang weiter. Maurus und ich schrieben dem Lenz, er sollte doch von sich und dem, wie er die Zeit überstanden habe, was schreiben. Im nächsten Brief befaßte sich der Lenz mit Tolstoi und schrieb wiederum: »Weißt du, das ist so ein Apostel. Der läßt auch viel zu wünschen übrig …« Aber Eugen und auch er schickten mit der Zeit Lebensmittel, und nach und nach kamen auch einige Dollars von ihnen.
    Mutter aber gab das

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