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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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kannst dich verlassen drauf, Oskar, bei mir wird dein Kind schon ein ordentlicher Mensch …« Fast drängend sagte sie das.
    »Mein Gott, Mutter, sonderbar! … Sonderbar!« rief ich auf einmal, »dich kann nichts umbringen! … Du bleibst ewig, was du bist!«
    »Jaja, ha-ha«, lächelte sie so dünn wie immer, »was soll denn aus einem solchen alten Weib noch anders werden! … Wenn ich bloß g’sund bleib’, nachher geht’s schon.«
    Ihr altes, faltiges Gesicht hellte sich leicht auf. Ich brachte sie zum Bahnhof, als sie mit dem Kind kamen.
    »Gesund«, sagte der Maurus einmal, daß es Mutter nicht hörte, »gesund ist unsere Mutter wie Eisen. Die überlebt uns alle.« Das tat mir wohl.
    »Herrgott, froh bin ich aber jetzt, wenn ich wieder daheim bin«, meinte Mutter, als ich ihr über die Waggontreppen hinaufhalf. »Jetzt b’hüt dich Gott, Oskar … Und komm nur öfter!«

Die Eindringlinge
    Während Stadt und Land von der erschreckend ansteigenden Flut der Inflation mitgerissen wurden und dadurch eine nie geahnte Umschichtung aller so sicher abgegrenzten Gesellschaftsklassen vor sich ging, blieb das Leben unserer Mutter unverändert.
    Sie war jetzt fast fünfundsechzig Jahre alt, dünn- und grauhaarig, sehr knochig und gefestigt durch eine eigentümlich robuste Gesundheit, die in allen Menschen, welche ihr begegneten, den Eindruck erweckte, als gäbe es für sie nie einen Tod. Sie fürchtete diesen Tod, doch sie glaubte im Innersten nie, daß er sie treffen würde. Ihre stehende Redensart war: »Weiß’s, ob ich bis dahin noch leb’«, aber wenn man genau nachdachte, war es bei ihr, als sei sie so sehr mit allem, was sie täglich und jahrelang umgab, zusammengewachsen, daß sie sozusagen gar nicht daraus brechen konnte. Im Winter schüttete sie die Asche in den verschneiten kleinen Gemüsegarten und meinte: »Das ist für den Boden gut, da wachsen die Bohnen und der Salat recht schön her.« Im Frühjahr, wenn sie das Gärtchen umgrub und die Beete besteckte und besäte, sagte sie: »Da, mein’ ich, pflanz’ ich gleich gar Kraut her. Nachher haben wir was bis zum Herbst.« Im Sommer hob sie die Lederäpfel auf und kochte die Himbeeren oder Zwetschgen ein und äußerte: »Die Äpfel werden erst gut um Weihnachten rum, und das Ein’kochte taugt für die Nudeln.« Ganz und gar war sie in diesen Jahrlauf hineingefügt, fast wie die Bäume und Pflanzen.
    Obgleich im engen Kramerhaus weit weniger für sie zu tun war, werkelte sie wie ehedem. In der Frühe, wenn noch kein Fenster in den Nachbarhäusern leuchtete, stand sie auf, wusch sich ein wenig, betete ihre gewohnten paar Vaterunser und kochte den dunklen, dicken Malzkaffee. Hin und wieder, wenn sie ein Verdruß plagte, humpelte sie nach Aufkirchen zur Frühmesse und kam zurück, wenn Maurus und Theres aufstanden. Sie versorgte die kleine Annamarie, mein Kind, spülte die paar Tassen und Teller ab, räumte die winzige Kuchl auf und überlegte, wie man in diesen teuren Zeiten am billigsten ein Mittagessen machen könnte. Sie half dem Maurus in der noch sehr provisorischen Konditorei, ging ab und zu in den Laden, der erst fertig geworden war, und sie wusch die Wäsche für alle. Sie spaltete Holz für ihren Herd und für Maurus’ Backofen, jeden Samstag putzte sie alle Böden auf den Knien heraus, und wenn sie Strümpfe stopfte, dann war das ein Rasten für sie.
    Die Theres, die nun die Näherei der Emma übernahm und das wenig einträgliche Hütemachen nur noch nebenbei betrieb, hatte wenig zu tun. Es gab keinen Stoff. Mehl, Eier, Butter und Zucker waren rare Dinge und kosteten viel Geld, also haperte es mit der Konditorei vom Maurus auch noch sehr. Er verlegte sich zunächst auf einen schwunghaften Handel mit allerhand Likören und kam oft in die Stadt, um einzukaufen. Von Mal zu Mal hatte er größere Mengen von Inflations-Banknoten bei sich, denn die deutsche Mark galt fast nichts mehr, und allem lag der stabile Dollarkurs zugrunde. Die bisherigen Wertbegriffe hatten sich völlig verschoben. Das Papiergeld, auf das jeden Tag höherstellige Zahlen gedruckt wurden, schien überhaupt nur noch eine Fiktion, über die man sich in wirrer Hilflosigkeit allgemein geeinigt hatte. Unerrechenbar dagegen stiegen die Sachwerte wie Grund und Boden, Vieh, Häuser, Diamanten, Gold, alte Kunstwerke, Musikinstrumente und Möbel. Während die Arbeiter und Angestellten in den Städten sogleich nach ihrer Lohnauszahlung mit den vielen buntbedruckten Geldscheinen

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