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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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hatte. Die Herren bezahlten noch mehr Bier und meinten: »Da hilft gar nichts … Ausräuchern müßt’ man die Roten, weg samt Butz und Stengel müssen sie!« Bald waren viele Bauernburschen »Freiwillige«, und denen, die genug von dieser ewigen Kriegführerei hatten, kauften die Herren die Gewehre und die Munition ab. –
    Hoch in den dunstigen Morgenwolken über München tauchten Flugzeuge der Bamberger Regierung auf, flogen surrend Kreise und warfen Kundgebungen ab, worin die »Bevölkerung und die sozialdemokratischen Gesinnungsgenossen« zum Ausharren ermuntert wurden, denn bald komme die »Befreiung von der gesetzlosen roten Schrekkensherrschaft«, aber die Regierungstruppen kämen nicht etwa als »Gegenrevolutionäre«, nein, der Minister Noske sei selbst Sozialdemokrat und stelle lediglich die Ordnung wieder her. In Wolfratshausen, Starnberg, in der Erdinger Gegend und bei Dachau gab es heftige Scharmützel. Die roten Truppen mußten der Übermacht weichen. Noskes vorrückende Freiwilligenverbände riegelten jede Lebensmittelzufuhr nach München ab und nahmen in jedem Dorf standrechtliche Erschießungen vor. Am 1. Mai schlugen die Eisnerianer mit Toller an der Spitze die Waffenstreckung vor und gaben ihre Gewehre in den Fabriken ab. Friedlich demonstrierten sie auf den Straßen mit den noch vorhandenen Sozialdemokraten für den »Weltfeiertag der Arbeiter«. Die Kommunisten verschanzten sich in den großen Gebäuden. Wegen der vielen Füsilierungen gefangener Rotgardisten erschossen sie die Geiseln im Luitpoldgymnasium.
    Die Truppen Noskes drangen in die eroberte Stadt. Kanonen krachten, Schrapnells barsten pfeifend in der Luft, Häusermauern brachen ein und begruben die Einwohner. Entsetzt rannten die Menschen ins Freie, jammerten, weinten und schrien. Die bessere Bürgerschaft, die auf einmal wieder da war, jubelte den Regierungstruppen zu. Tagelang gab es Erschießungen. Alle Gefängnisse waren überfüllt. Die sogenannten »Kriegsgerichte« arbeiteten Tag und Nacht. Ich saß wie Tausende in einer gestopft vollen Gefängniszelle, in welcher sich unter anderen auch zwei Rotgardisten befanden, die auf die Geiseln im Luitpoldgymnasium auf Befehl des Zellenleiters geschossen hatten. Sie wurden schon nach zwei Tagen an die Wand gestellt. Es knallte oft und oft im Gefängnishof.
    Als ich nach ungefähr acht Tagen endlich zur ersten Vernehmung geführt wurde, sah ich im Zimmer des Kommissars einen vollbärtigen, schwächlichen Mitgefangenen, der laut und erregt schimpfte: »Abgesehen davon – ein Irrtum kann ja vorkommen, Herr Kommissar, aber ich bin doch schon dreißig Jahr’ Sozialdemokrat!« Die Stimme war mir bekannt. Geschwind überflog ich das Gesicht noch einmal.
    »Ich war nirgends dabei … Minister Noske ist doch Parteigenosse von mir!« suchte sich der Mann zu verteidigen, aber die zwei Polizisten, die ihn gebracht hatten, zerrten ihn schon vom Schreibtisch weg. Jetzt trafen sich unsere Augen. Ich stutzte und – wie mir schien – er stutzte auch.
    »Bist du nicht der Oskar? … Herr Graf?« rief er hastig. Ich nickte. Ich erkannte den Michael Beckenbauer.
    »Du kennst mich … ich bin nie Kommunist gewesen! Wir Sozi –«, hastete er erregt heraus und stemmte sich gegen den einen Polizisten.
    »Los! … Wir geben dir gleich einen Sozialdemokraten! Vorwärts! Los!« knurrte der andere Polizist und versetzte ihm einen derben Stoß ins Kreuz, daß er taumelnd torkelte. Die Türe schlug zu. Ich hörte heftig lautes Schimpfen und Geraufe im Gang. –
    Die Bamberger Regierung übersiedelte nach München, doch sie mußte sich auf Geheiß der Generale umformen und bürgerliche Minister aufnehmen.
    Die Räterepublik war zu Ende. Aus den Kriegsgerichten wurden »Volksgerichte«, die nicht weniger erbarmungslos aburteilten. Nur die Offiziere fehlten jetzt bei ihren Sitzungen, doch die Richter standen ihnen in nichts nach und ersetzten sie vollauf. Für mich ist diese Zeitspanne entscheidend geworden, als ein Miterlebender habe ich vieles später geschildert.
    In der Goethestadt Weimar trat kurz darauf um die Sommermitte die gewählte deutsche Nationalversammlung zusammen und nahm nach vielen Beratungen eine Verfassung an, die die schönen Sätze enthielt: »Das deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus …« Friedrich Ebert wurde einstimmig zum Präsidenten ernannt, Philipp Scheidemann war der Reichskanzler. Die neuen Reichsfarben waren Schwarzrotgold.
    Der große

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