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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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wird auch nicht glücklich –«
    »Aber du bist doch im Recht, Mutter!« drang der Maurus in sie. Sie sah ihn wehmütig zweiflerisch an.
    »Ah, Recht? … Recht! … Auf der Welt kommt immer bloß die Schlechtigkeit obenauf. Die ist nicht umzubringen. Unser Herrgott wird’s dem Pius schon noch einmal beibringen!« meinte sie. Doch der Maurus gab nicht nach. Nach einer abermaligen Gerichtsverhandlung bekam er, was er wollte. Der Pius mußte zudem auch noch die Gerichtskosten tragen. Das wurmte ihn. Hinterhältig grinsend ging er herum und schwor, auf seine Weise Rache zu nehmen. Dem Maurus aber, vor dem er Angst hatte, wich er aus, wo es ging.
    Zu dieser Zeit mußte sich unsere Mutter wieder einmal hinlegen. Ihre offenen Füße trugen sie nicht mehr. Sie bekam wieder »Rotlauf« und lag droben in der sonnigen Kammer, deren Möbel stets zu wackeln anfingen, wenn man fest auf den nachgiebigen Boden trat. Der gewohnte, jetzt schon grauhaarig gewordene Doktor kam wieder.
    »Schauderhaft sehn sie aus, Ihre Füß’, Frau Graf, aber zum Sterben ist’s noch nicht … Das heilt sich schon wieder aus«, sagte er nach der Untersuchung, »aber liegenbleiben müssen Sie mir, haben S’ mich verstanden? … Sonst kann sein, daß’s wirklich einmal schnell dahingeht.« Sie nickte lächelnd, obwohl ihre unsicheren Augen bang waren.
    »Ja, mein Gott, Herr Doktor, sterben müssen wir ja alle einmal«, sagte sie leichthin. Der Doktor reinigte die Wunden, stopfte mit Salbe beschmierte Wattepfropfen in sie und verband sie wieder: »So, und jetzt Ruhe … Ruhe heilt am besten!« Dann ging er.
    Mutter lag allein da. Vor den Fenstern griffen die kahlen Bäume in die graue Winterluft. Auf ihren rostbraunen, verwitterten Ästen lag – langen, dicken Raupen gleich – der glitzernde Schnee. Der ferne, sonnenerhellte Himmel schien farblos wie eine langweilige Unendlichkeit. Wie durch eine Vermummung dringend klangen alle Laute, die vom Haus unten oder von der Straße heraufkamen. Unsere Mutter rastete.
    »Bäckin? … He!« schrie es auf einmal von unten herauf.
    »He! Bäckin!« wiederholte sich’s auf der Straße. Die Kranke richtete sich ein wenig auf und wollte aus dem Bett, aber sie war zu schwach. Sie konnte ihren Kopf nur näher an die Scheiben bringen.
    »He! Alte!« plärrte der Pius da drunten und grinste zu ihr hinauf.
    »Ja, was ist’s denn?« gab sie schwach an. Er mußte es gehört haben.
    »Geht’s schon bald dahin mit dir?« fragte der hagere, glucksend in sich hineinlachende Mann weiter. »Jetzt wär’s grad g’schickt! Jetzt brauch’ ich keinen Sarg mehr kaufen für dich, weil’s Holz so rar ist. Jetzt wirft man deine Leich’ einfach in einen Papiersack und grabt dich ein!« Nach dem letzten Gerichtsbeschluß nämlich war er verpflichtet, im Todesfalle Mutters die Beerdigungskosten zu zahlen. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging der belustigte Pius schnell weiter. Sicher murmelte er zufrieden in sich hinein: »Hahaha, jetzt hab’ ich’s ihr aber geben, dem alten Vieh!«
    Als ich bald darauf zu Besuch heimkam und vor ihrem Bett saß, erzählte mir die Mutter ganz unverbittert, ja sogar lachend, wie drollig doch der Pius hie und da in seinem dummdreisten Geiz sei.
    »Ha! Hahaha, hast jetzt schon so was g’sehn, in einen Papiersack!« lachte sie noch mehr. »So was hat ihm wieder gefallen, dem damischen Kerl, dem damischen!« Nichts von all der Roheit hatte sie getroffen, gar nichts.
    »In einen Papiersack! Haha-ha!« mußte sie immer wieder auflachen.
    Nach einem Monat konnte sie wieder aufstehen. Das lange Liegen hatte sie ein bißchen steif gemacht, doch sie war seltsam froh und frei. Der Tod war wieder in weite Ferne gerückt. Immer wieder fielen ihr Pius’ Worte ein, und immer wieder konnte sie bis zu Tränen lachen. An ihrer unfaßbaren, schmerzgewohnten Mitleidlosigkeit gegen sich selbst prallte jede Erniedrigung und Beleidigung ab, wurde klein und lächerlich, ja, belustigte sie sogar. War das nun etwas, das man gemeinhin Charakterlosigkeit nannte, oder war es mehr? Ihr Herz war nicht stumpf, im Gegenteil, es geriet stets in einen wehen, kummervollen Aufruhr, wenn sie andere leiden sah.
    Die drei hinterlassenen Buben vom Maxl, die den Pius nicht mochten, waren meist um sie wie die Annamarie. Die Kinder machten ihr zuweilen viel Ärger. Sie bettelten bei ihr um Geld, stahlen ihr auch sonstige Dinge. Sie neckten die Sau, daß die Mästung nicht anschlug. Immer fiel ihnen etwas anderes ein, und unsere

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