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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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dem Ruhrgebiet, dem stärksten Widerstandszentrum der Arbeiterschaft, Verhandlungen in der rheinischen Industriestadt Bielefeld vor. Abgesandte der Ruhrkämpfer und Berliner Delegierte trafen sich dort. Ein Regierungsversprechen besagte, daß die Reichswehr abziehe, daß für die kampfbeteiligten Arbeiter Straflosigkeit herrsche, daß auch ihre Anführer nicht verfolgt würden, und endlich wurden Zugeständnisse in der Lohnregelung gemacht.
    Die Generale und ihre Regimenter aber hielten sich an all das nicht im mindesten. Für sie war die Berliner Regierung nicht maßgebend. Noch während der Verhandlungen drangen sie überraschend vor und begannen die wirr gewordenen Arbeitermassen bestialisch niederzumetzeln. Die Irreführung mit dem »Bielefelder Abkommen« verhalf ihnen zu einem »glänzenden Sieg«.
    Im ganzen, weiten, unglücklichen Land wurden auf Geheiß der Berliner Regierung die letzten Legionen der gläubigen, standhaften Republikaner von ihren Todfeinden geschlagen und zertrampelt. Die Reichswehr diktierte. Die Reaktion hatte freie Bahn. Die Fememorde – ausgeheckt von chauvinistischen Verschwörergruppen und gefördert von der Generalität – begannen ihr Unwesen. Es wurde gefährlich, sich offen zur Republik zu bekennen.
    »Jetzt ist alles verloren! Jetzt müssen wir uns wieder ducken, mehr wie zur schlimmsten Kaiserzeit!« sagte Georg bedrückt zu mir und fing an, jedem Menschen zu mißtrauen. Wir mieden politische Gespräche, wenn Fremde um uns waren.
    In München wurde eines Nachts der Eisner-Sozialist Gareis, der im Parlament gegen die Untaten der Fememörder gesprochen hatte, auf dem Heimweg erschossen. Die Täter konnten von der Polizei nicht ermittelt werden.
    Ein Volksgericht verurteilte den Führer des mitteldeutschen Aufruhrs, Max Hölz, zu lebenslänglichem Zuchthaus. Knapp entging er dem Tod.
    In dem kleinen badischen Kurort Griesbach wurde der katholische Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger aus dem Hinterhalt niedergeknallt. Er hatte es gewagt, im Interesse der erschöpften Reichsfinanzen die allzu groß gewordenen Vermögen empfindlich zu besteuern.
    Die Reichsregierung ließ seinen Plan sofort fallen.
    Der deutsche Außenminister Walter Rathenau wurde ein Opfer nationalsozialistischer Attentäter. Viele bekannte und unbekannte Republikaner fielen so.
    Die Inflation stieg. Das Schieber- und Neureichentum wuchs, die Not und das Elend breiteten sich aus.
    »Die ganze Welt hat sich gegen uns verschworen«, sagten die Arbeiter verbittert, »das Ausland sieht nur noch unsere Generale und Militaristen … Und die Regierung? … Der gleiche Lug und Trug wie zu Kaisers Zeiten … Zu was haben wir eigentlich Revolution gemacht? … Überhaupt, zu was sich noch für was rumschlagen … Als Dank dafür kriegen wir höchstens eine aufs Dach!« Viele wollten von dem »politischen Rummel« nichts mehr wissen und versuchten auf ihre Weise, ganz privat, durchs Leben zu kommen. Von der Republik erwarteten sie nichts mehr.
    Die Arbeitslosigkeit nahm zu und zu. Die Produktionsziffern sanken mehr und mehr. Die französische Regierung verlangte peinliche Erfüllung des Versailler Vertrags und ernannte Reparationskommissare, die als Beobachter in den größeren deutschen Städten residierten.
    »Die reden und schreiben immer, wir können zahlen, wir können leisten, wir wollen bloß nicht«, hieß es bei den Arbeitern und kleinen Leuten, die von der Inflation ruiniert wurden, »die Herren wohnen in den feinsten Hotels, aber in den Armenvierteln hat man noch nie einen gesehn! Die Schieber sind für sie Deutschland!«
    Nur Amerika schickte Lebensmittel in die deutschen Hungergebiete. Sie gelangten aber nicht selten in ganz andere Hände. Nach Wilsons 14 Punkten war das Selbstbestimmungsrecht der kleinen Nationen proklamiert worden. Nun wurde in den deutschen Randgebieten Eupen-Malmedy, Nordschleswig, Ost- und Westpreußen und Oberschlesien abgestimmt. Blutiger Kleinkrieg und schauerlicher Terror herrschten dort. Eine ungeheure Ratlosigkeit, eine blinde Erbitterung hatte alle ergriffen.
    »Das rächt sich, das rächt sich bitter, wirst sehn«, sagte Georg zu mir, als wir einmal die schöne, breite Ludwigstraße hinuntergingen, »das ist die beste Propaganda für einen neuen, noch reaktionäreren Nationalismus bei uns … Ich versteh’ das nicht! Sehn denn das die Franzosen und Engländer nicht? Oder will man’s nicht sehn?«
    »Da, schau hin, da! … Man merkt’s ja schon! Schau doch!« rief ich

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