Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Frieden hineinfinden konnten und wollten, strömten ihm zu. Die ostpreußischen Grundbesitzer, die verstimmten Adeligen und die rheinischen Industriellen unterstützten diese Verschwörertruppe reichlich mit Geldmitteln. Die Inflation hatte alles zersetzt. Das Leben war hart. Jeder verlangte nach dem rettenden »starken Mann«, der endlich doch kommen mußte. Nun war Lüttwitz in Berlin, die geflohene Ebert-Regierung in Stuttgart, und ein sogenanntes ›Direktorium‹ mit dem Königsberger Landschaftsrat Knapp an der Spitze versuchte die Macht an sich zu reißen. Ludendorff, der längst aus seinem schwedischen Exil zurückgekommen war, tauchte ebenfalls in Berlin auf.
In der Reichshauptstadt lagerten die Lüttwitzgarden auf den Straßen. Maschinengewehre drohten überall, Stacheldrähte waren gezogen. Republikaner wurden verhaftet, und auf allen Amtsgebäuden wehten wieder die Kaiserfahnen. Als erstes setzte das Direktorium die Todesstrafe auf Widerstand und Streik.
Die Ebert-Regierung in Stuttgart hatte dagegen einen »Aufruf an das deutsche Volk« erlassen und forderte die Arbeiterschaft zum Generalstreik auf. Und nun geschah das Unglaubliche:
Die Züge blieben auf offener Strecke stehen oder fuhren nicht mehr aus. Post und Telegraph funktionierten nicht mehr. Zum größten Teil waren die Licht- und Wasserleitungen unterbrochen. Die Massen strömten aus den Betrieben und bewaffneten sich notdürftig. In kaum zwei Tagen lag in fast allen deutschen Städten die Arbeit still. Alles geriet ins Stocken! Und nicht nur das! Die von der Republik tief enttäuschten, so oft und so schändlich im Stich gelassenen, verratenen Arbeitermassen zogen gegen die militärischen Aufrührer, opferten zu Tausenden ihr Leben und – siegten!! In knapp einer Woche konnte die Ebert-Regierung wieder in Berlin amtieren. Reichskanzler war der Sozialdemokrat Müller, an Noskes Stelle wirkte der ewig lächelnde Demokrat Geßler, und der undurchsichtige General von Seeckt war Chef der Reichswehr.
In München, wo außer einigen Teilstreiks alles ziemlich ruhig geblieben war, hielten die politischen Parteien Versammlungen ab und berieten über die Lage.
»Wenn bloß jetzt die verdammte Inflation nicht noch ärger wird, dann geht’s noch!« sagten die Leute am Biertisch. Jeder war zufrieden, daß der störende Putsch so schnell zusammengebrochen war.
»Diesmal hat die Republik immerhin die Kraftprobe bestanden! Du siehst ja, sie hat auch an Boden gewonnen! Sogar die Indifferenten atmen auf!« sagte mein Freund Georg zu mir. »Aber grad das ist gefährlich! Jetzt muß es weitergehen. Raus aus der bürgerlich-kapitalistischen Republik! Die Arbeiter müssen endlich alle Macht erobern! Es ist die letzte Chance!«
Und bei meinem nächsten Besuch daheim sagte der Maurus: »Du weißt ja, gar zu viel hab’ ich für deine Arbeiter nicht übrig. Sie sind gegen den kleinen Geschäftsmann und wollen alles gleichmachen … Aber diesmal haben sie endlich gezeigt, daß sie wissen, was sie wollen. Sie haben der Oberklasse einmal einen gehörigen Dämpfer aufgesetzt, das war gut!« Er kümmerte sich höchstenfalls dann um Politik, wenn sie unmittelbar in sein Leben einzugreifen drohte. So wie er aber dachten damals viele.
Die Berliner Regierung handelte anders. Sie leugnete, jemals einen amtlichen Befehl zum Generalstreik gegeben zu haben. Sie schlug ihren Rettern, den Arbeitermassen, jede Forderung nach gründlicher Reinigung der Reichswehr und der Beamtenschaft von unzuverlässigen Elementen ab.
Bestrafung der Putschisten, Festigung der Republik, Erweiterung des Betriebsrätegesetzes und schärfere Kontrolle der lebenswichtigen Industrien verlangten die Arbeiter. Sie blieben unter Waffen, nahmen die Arbeit nicht wieder auf und warteten auf Antwort. Die Regierung fand das anmaßend. Drohend befahl sie die sofortige Arbeitsaufnahme.
Das war zuviel!
Die empörten Arbeiter kämpften weiter. Der General Seeckt bekam viel zu tun. Mit neu formierten, gefährlich zusammengewürfelten Brigaden und mit den berüchtigten Lüttwitzgarden, deren Offiziere nur zum Teil entfernt worden waren, stellte der neue Befehlshaber die »Ruhe und Ordnung« wieder her.
In Sachsen, in Mitteldeutschland, in Hamburg und Bremen und im Ruhrgebiet wurde wochenlang erbittert gekämpft. Die Arbeiter wichen nicht.
Die Berliner Regierung wurde unruhig. Sie ernannte den Sozialdemokraten Severing zum Schlichtungskommissar. Dieser ehemalige Metallarbeiter sollte vermitteln. Er schlug
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