Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
ausgelöst, bei der jeder jeden mit Schmutz bewarf. Als Susan sie kennengelernt hatte, war sie schon fettleibig gewesen. Fettleibig und geschieden.
»Ich habe eine Geschichte für Sie«, sagte Susan.
Mrs. Drinkwater verrückte ihren Stuhl leicht in Susans Richtung. »Oh, ich liebe Geschichten.«
»Wissen Sie noch, vor ein paar Jahren, als dieser Diakon beim Kirchenkaffee den Kaffee vergiftet hatte? Mehrere Leute sind gestorben, erinnern Sie sich? Das war in New Sweden, wo Steve herkommt.«
Mrs. Drinkwaters unsteter Blick heftete sich auf Susan. »Da kommt Ihr Mann her?«
Susan nickte. »So richtig warm geworden bin ich mit den Leuten da oben nie. Sie haben die Schweden im neunzehnten Jahrhundert rübergeholt, wissen Sie, weil sie Arbeiter in den Mühlen brauchten und weil sie Weiße dafür wollten.«
»Keine Canucks wie mich«, sagte Mrs. Drinkwater und schüttelte vergnügt den Kopf. »Die Menschen sind schon komisch. Was man alles vergisst. Der Giftmischer-Diakon. Sachen gibt’s.«
»Von der Stadt ist nicht viel geblieben. Die Mühlen sind geschlossen. Und die Leute gehen weg. Wie Steve, der nach Schweden ausgewandert ist.«
»Immer noch besser als dableiben und sich gegenseitig vergiften«, sagte Mrs. Drinkwater. »Was ist aus dem Diakon geworden? Das hab ich auch vergessen.«
»Hat sich umgebracht.«
In behaglichem Schweigen saßen sie da, während die Sonne hinter den Bäumen verschwand und die Luft eine Spur kühler wurde. Der Hund, immer noch schlafend, klopfte träge mit dem Schwanz.
»Das hab ich Ihnen noch gar nicht erzählt«, sagte Susan. »Die Frau von Gerry O’Hare – dem Polizeichef, der mit mir in der Schule war – , seine Frau hat angerufen und gefragt, ob ich zu ihrem Strickkränzchen kommen möchte.«
»Sie haben hoffentlich zugesagt.«
»Doch. Aber ein bisschen fürchte ich mich.«
»Papperlapapp«, sagte die alte Dame.
8
Es war am Tag nach Labor Day, und Helen stand beim Gemüsehändler an der Kasse, als sie Dorothy traf. Sie ließ sich drei Sonnenblumen in Papier wickeln und hatte schon den Geldbeutel gezückt, als sie sich umdrehte und Dorothy sah. »Oh, hallo!«, rief Helen, denn bei Dorothys Anblick vermisste sie plötzlich ihre alte Freundschaft. »Wie geht’s dir, sag? Seid ihr jetzt erst aus den Berkshires zurückgekommen? Wir waren den August über hier, zum ersten Mal seit Jahren – gut, aber Jim hat es natürlich eilig, die Sache auf den Weg zu bringen.« Helen bezahlte ihre Sonnenblumen, legte sie sich über den Arm. »Es ist sehr aufregend für uns, aber irgendwie geht auch eine Zeit zu Ende.«
»Was ist aufregend für euch, Helen?«
Im Nachhinein hätte Helen nicht sagen können, was Dorothy an diesem Tag gekauft hatte, nur dass sie hinter Helen an der Kasse anstand, während Helen voll Eifer sagte: »Dass Jim sich auf eigene Füße stellt.«
Dorothy sagte: »Was für hübsche Sonnenblumen, Helen.«
Unterdrückte Überraschung vermischt mit Mitleid, das war der Ausdruck, den Helen auf Dorothys Gesicht auszumachen meinte, und es war der Ausdruck, der ihr im Gedächtnis blieb – später (und für den Rest ihres Lebens), nachdem auch sie erfahren hatte, dass Jim von Alan der Austritt aus der Kanzlei nahegelegt worden war, dass ihm eine Klage wegen sexueller Belästigung gedroht hatte, weil er eine intime körperliche Beziehung mit einer abhängig Beschäftigten eingegangen war und seine Macht und seinen Einfluss dazu missbraucht haben sollte, auf diese abhängig Beschäftigte Druck auszuüben. Die Sache war eiligst vertuscht worden, die junge Frau hatte einen Geldbetrag erhalten, bevor die Presse Wind bekommen konnte. Fünf Wochen lang hatte sich Jim Burgess jeden Morgen angezogen, seine Aktenmappe genommen, Helen ihren Abschiedskuss gegeben und war in die Public Library in Manhattan gefahren. Helen sagte er, die Kanzlei habe eine neue Regelung eingeführt: Privatgespräche seien ab sofort über Handy abzuwickeln, weshalb sie ihn bitte nicht mehr über das Vorzimmer anrufen solle, und natürlich hatte sie sich daran gehalten. Jim redete immer häufiger davon, wie unzufrieden er in der Kanzlei sei, und Helen sagte: »Warum machst du dich dann nicht endlich selbständig? Mit deinem Ruf und deiner Erfahrung hast du doch die freie Auswahl.«
Ihm machten die Kosten Sorgen, die eine eigene Kanzlei verursachen würde. »Aber wir haben das Geld doch. Nehmen wir welches von mir«, rief Helen, und sie setzte sich an den Abenden mit ihm hin, um die Ausgaben für Miete,
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