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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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stimmt so nicht ganz.« Margaret holte tief Luft, ließ sie langsam ausströmen. »Ich habe mit einer Menge Familien in dieser Stadt zu tun, und glauben Sie mir, viele Kinder hier, amerikanische Kinder, kennen weder ihre Ansprüche noch irgendeine Art von Zuwendung.« Als Haweeya nicht antwortete, räumte Margaret ein: »Aber ich weiß, was Sie meinen.«
    Haweeya probierte es mit einem Scherz. »Ja, ich habe Anspruch auf meine Meinung.« Aber sie sah, dass Margaret nicht in der Stimmung für Scherze war. »Danke«, sagte Haweeya.
    Margaret stand auf. Sie sah älter aus, als Haweeya sie eigentlich einschätzte. »Sie tun völlig recht daran, an Ihre Kinder zu denken«, sagte Margaret.
    Haweeya stand ebenfalls auf. Sie hätte gern gesagt: Du wärst nicht allein, wenn du eine Somali wärst, Margaret. Du hättest immer Brüder und Schwestern und Tanten und Onkel um dich. Du müsstest nicht jeden Abend in deine leere Wohnung heimkehren. Aber vielleicht störte die leere Wohnung Margaret ja gar nicht. Haweeya war immer noch nicht dahintergekommen, was genau die Amerikaner wollten. (Alles, dachte sie manchmal. Sie wollten alles.)

10
    Oh, Helen, Helen, Helen!
    »Warum?«, flüsterte sie immer wieder, während sie zusah, wie ihr Mann redete. »Warum? Jim, warum?« Er sah sie hilflos an. Seine Augen waren klein und trocken.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Hellie, ich weiß es nicht.«
    »Hast du sie geliebt?«
    »Nein.«
    Der Tag war warm, und Helen stand auf und schloss ein Fenster nach dem anderen. Dann ließ sie die Rollläden herunter. »Und alle wissen Bescheid«, sagte sie leise, staunend, als sie sich wieder auf die Kante des Couchtisches setzte.
    »Nein, Hellie, es ist unter Verschluss gehalten worden.«
    »Unter Verschluss gehalten? Wie denn? Diese dreckige Schlampe tratscht es doch selber herum.«
    »Nein, Hellie. Das ist Teil der Abmachung. Sie darf nicht darüber sprechen.«
    »Wie naiv bist du eigentlich, Jim Burgess? Wie kacknaiv? So ein Mädchen hat Freundinnen. Frauen reden . Sie reden über die dumme Ehefrau. Habt ihr über mich geredet?«
    »Wie kannst du so etwas denken?«
    Aber sie sah es ihm an. »Hast du ihr erzählt, dass ich in Arizona beinahe gestorben wäre, weil du dich nicht gekümmert hast? Weil du einfach nein gesagt hast, als ich umkehren wollte?«
    Er antwortete nicht, stand nur mit hängenden Armen da.
    »Jeden Morgen bist du hier rausspaziert und in die Bibliothek gegangen? Tag für Tag eine solche Lüge?«
    »Ich hatte Angst, Hellie.«
    »Hast du dich mit ihr getroffen?«
    »Nein. Großer Gott, nein.«
    »Wo warst du heute Nacht?«
    »In Atlanta, Helen. Wegen dieser eidesstattlichen Aussage. Für den Fall, den ich noch abwickeln muss.«
    »Du lügst doch, wenn du nur den Mund aufmachst.«
    »Hellie, bitte. Das ist nicht wahr. Bitte.«
    »Wo ist sie?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob sie noch für die Kanzlei arbeitet. Ich rede mit keinem dort außer manchmal mit Alan, weil er meine Fälle zuteilt.«
    »Das ist doch gelogen! Wenn du gestern Abend in Atlanta warst, musst du mit jemandem aus der Kanzlei da gewesen sein. Also warst du entweder nicht in Atlanta, oder du redest sehr wohl noch mit anderen Leuten außer mit Alan. Und du weißt ganz genau, wo sie ist!«
    »Einer von den Kollegen war mit mir in Atlanta. Und wir haben nicht über sie gesprochen, weil er ja überhaupt keine Ahnung … «
    »Ich muss spucken.« Im Bad hätte sie ihm fast erlaubt, ihr Haar zu streicheln, aber dann musste sie gar nicht spucken, darum stieß sie ihn weg. Ihre Gesten hatten etwas Theatralisches. Sie kamen aus tiefster Seele, so wie auch jedes ihrer Worte aus tiefster Seele kam. Aber diese Art, die Arme zu werfen, diese Art, bestimmte Worte zu sagen, war nie zuvor vonnöten gewesen und ihr deshalb fremd. Sie musste die Ruhe bewahren, um jeden Preis, sonst würde sie durchdrehen inmitten dieser Fremdheit – der Wildnis der Hysterie. Sie versuchte Zeit zu gewinnen.
    »Ich versteh’s nicht«, sagte sie immer wieder. Jim stand einfach da, und sie befahl ihm, sich hinzusetzen. »Aber nicht hier zu mir. Ich ertrage dich nicht in meiner Nähe.« Mit erhobener Stimme: »Ich ertrage dich nicht in meiner Nähe!« Sie drückte sich tiefer in die Sofaecke. Sie sagte das nicht, um ihn zu bestrafen. Sie ertrug ihn nicht in ihrer Nähe. Sie wollte weg sein, weit weg. Sie wollte sich zu einem Ball zusammenrollen wie eine Spinne. »O Gott«, flüsterte sie. Die Wildnis rückte näher.
    »Was habe ich falsch

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