Das leere Land
er nickte, grinste breit dabei.
Entschuldigen Sie, sagte ich, eine Verwechslung.
Kann vorkommen, sagte er.
Dann schwiegen wir, bis mir die Kellnerin eine Tasse Kaffee gebracht hatte. Allmählich kam ein Reden in Gang, ich erzählte ihm, dass dies hier früher ein Flippercasino gewesen sei, und dass sich alles sehr stark verändert habe. Dass ich lange in Nordamerika gewesen sei. Und dass ich zurückgekommen sei, um über den Heiligen Severinus zu arbeiten.
Severin, sagte er, sehr interessant. Sie sind also interessiert an Religion?
In gewissem Sinne ja.
Er lächelte. Ich auch, sagte er leise. Ich bin Priester. Und, als ich schwieg: Allerdings nur ein halber. Ich bin unitarischer Halbpfarrer.
Halbpfarrer?
Unsere Gemeinde in Österreich hat keine fünfhundert Mitglieder, da ist es schwer, einen Ganztagesberuf als Pfarrer zu bekommen. Darum arbeite ich nebenher als Lehrer. Halbe Lehrverpflichtung. Mein Ziel ist jedoch, eines Tages ausschließlich Pfarrer zu sein. Er lachte. Ich bin ja noch jung.
Der Unitarismus lehnt das Konzept der Dreifaltigkeit ab. Wie Flaccitheus und die Seinen dazumal. Da seid ihr ja wie die Arianer, sagte ich mit einem Tonfall, der scherzhaft klingen sollte. Damit habe ich nichts am Hut, sagte er und hob an zu einer Erklärung. Arianer glauben, dass Jesus auf die Welt gekommen ist und dabei seinen Engel-Charakter behalten hat. So genau kenne er sich allerdings auch nicht aus. Die Arianer glauben, dass Jesus der Mensch gewordene Erzengel Michael ist. Er sprach im Präsens, als ob die Jünger des Arius noch mitten unter uns wären. Wir Unitarier glauben, dass Jesus Jesus war, ein Mensch und nicht mehr. Durch seinen Herabgang auf die Erde ist er selbst auch irdisch geworden.
Dann redete er lange über die Unterschiede zwischen Unitariern und Katholiken. Ich sah der Kellnerin zu, wie sie jedes Mal leicht ächzte, wenn sie ein Tablett über die drei Stufen zwischen Lokal und Gastgarten trug, und hörte ihm nur halb zu. Dort drinnen ist Heather gelehnt an den Flipperautomaten, presste im Rhythmus des Spiels sanft ihren weizenblonden Schoß gegen den Apparat, nie verursachte sie ein Tilt, und dort ist sie gestanden vor der Musicbox und hat Angie gedrückt, dreimal, viermal hintereinander, wieder und wieder. Möchte wissen, wonach sie Sehnsucht hatte, wenn sie dieses Sehnsuchtslied hörte. Ich möchte mich bestrafen dafür, dass ich sie nie gefragt habe, nicht einmal an dem einen Nachmittag, als wir miteinander geschlafen haben, hastig und wortlos in der schäbigen Zweizimmerwohnung eines Freundes.
53
Ich kam Severinus nicht nahe. Allem und allen kam ich nicht nahe. Schon bei Kohl war ich gescheitert. Aus keinem Anlauf, aus keiner Beschreibung, aus keinem Versuch wurden greifbare Gestalten, keine Menschen aus Fleisch und Blut. Bloß Biografien. Oder Geschichten, die mich selbst nicht interessierten, über Heilige und Krieger und Clans und Stämme, in Kohls Indianerkanada und in der heutigen Welt und in donaugermanischen Waldeinöden, über Motivationen, die nicht zu durchschauen sind, über Kleingruppen, die sich gegenseitig bekriegen oder in wechselnden Koalitionen irgendwelchen Imperien zusetzen mit Geiselnahmen, Erpressungen, Massakern, guerillaartigen Nadelstichmanövern. Dabei wünschte ich, Kohl und Severinus und auch den guten Eugippius so aus den Quellen und Texten auferstehen zu lassen, wie es Anna Mitgutsch mit Hermann Melville oder Jean-Paul Sartre mit seinem Marquis Adhémar de Rollebon gelungen ist.
Der Sprecher meiner Auftraggeber hatte da keine Probleme. Stellen Sie Severin dar als einen, der Gutes tut, sagte er. Wie soll das gehen, fragte ich mich, wenn ich abends auf der Couch im Wohnzimmer meiner Mutter Society-Reportagen sah von Charity-Events in Wien, immer steht da ein Mensch neben dem hyperaktiven Moderator, einer, der Gutes tut und dabei eine Spur zu nervös ist und eine Spur zu over- oder underdressed, und der seine CD oder sein neues Buch in die Kamera hält und stottert, dass pro verkaufter CD oder pro verkauftem Buch ein Euro an den guten Zweck geht.
Ich will keinen frommen Mann beschreiben wie Dörfler und keinen Commandante Severino als Beschützer der Bedrängten wie Giese. Und der andere Severinus langweilt mich, der Politiker und Militärmann, der weiß, dass alles vorbei ist und dennoch rastlos die Donau auf und ab stapft mit seinen bloßen Füßen, um die Abwicklung des Verlorenen mit so wenig Schaden wie möglich zu besorgen.
Ich glaube zu wissen, wie
Weitere Kostenlose Bücher