Das leere Land
Kriegerdenkmal ist ein Versuch zu verstecken. Mein Name in der Autorenzeile von Zeitungsartikeln und auf Buchdeckeln sollte ihr das satte zufriedene Überlegenheitsgefühl schenken, weil es einen ja ausfüllt bis in den letzten Winkel, wenn man etwas herzuzeigen hat.
Ich sah ihr seltsames Lächeln und stellte mir vor, wie sie sich vorstellte, bei der Eröffnung der Doppellandesausstellung in eineinhalb Jahren im Steinernen Saal am Regierungssitz des oberösterreichischen Landtags zu Linz in der ersten Reihe zu sitzen als von den Politikern und kirchlichen Würdenträgern umschmeichelte Begleitung des Ehrengasts. Durch das uralte und wegen hoher Bleizugaben milchig gewordene Glas der Fenster würde mildes Licht auf sie fallen und sie jünger aussehen lassen, jener Fenster, durch die sie die Bolzen ihrer Armbrüste hinuntergeschossen hatten auf die Promenade, als die wütenden lutherischen Bauern sich erhoben gegen die katholischen Herren, bis einer dieser Bolzen ihren Anführer Stefan Fadinger traf und der Aufstand zusammenbrach und die Bauernleiber baumelten in den Linden des Landes.
Sie würde bescheiden lächeln auf ihrem Stuhl neben jenem der Gattin des Landeshauptmanns, mit vorgespielter Verlegenheit wegen des Rummels um den bewunderten Vortragenden vorne am Lesepult, den sie hervorgebracht hatte aus ihrem Schoß, und der alles, was er war, ihretwegen geworden war. Es ließ mich kalt. Anders als Portnoy habe ich keine Schuldgefühle. Was aber kein Pluspunkt für mich ist, denn ich bin einfach fühllos, und das ist ein Minuspunkt für mich. Ganz zu schweigen von den geschlechtlichen Erlebnissen, die mir Portnoy voraushat. Es war mir egal. Ich würde saubere Unterwäsche tragen, mehr würde ich nicht tun können für sie.
Keine Erdäpfel waren es, die da hinten auf dem Leiterwagen lagen und an denen der satte schwarze Mutterboden klebte, und keine Rüben. Später, als die Zeiten bessere geworden waren, ließen die Bauern gerne ihre Erde an den Rüben hängen, die sie zum Lagerhaus-Silo fuhren, das die Silhouette des Nazischlosses verdeckte, von der Nibelungenbundesstraße aus gesehen. Die Zuckerrübenverwertungsgenossenschaft zwang die Bauern, die Rüben vor dem Anliefern zu waschen. Weil sie uns eine Arbeit aufhalsen, die eigentlich die ihre ist, murrten die Bauern, in Wirklichkeit ärgerte es sie, weil ihnen die Zuckerbarone gleich auf die Schliche gekommen waren und sich ohne jede Diskussion weigerten, die an den Rüben klumpende Erde mit auf die Waage zu fahren und für den Dreck denselben Preis zu zahlen wie für die saftig süßen Rüben.
Kein Gemüse war auf dem Leiterwagen, kein Holz aus der Au, und kein Heu, viel zu früh für Heu, die erste Mahd muss vor Johannes im Stadel sein, aber nicht zu viele Tage davor, und bis Johannes waren es noch an die sechs Wochen hin. Fleisch war es, Menschenfleisch, drei Stück, an dem die Krume klebte, noch dunkler als sie ohnehin war, weil sie sich mit dem Blut vermischt hatte, das aus den vielen Löchern geflossen war. Voller Erde die Leichname, weil sie schon tagelang in ihr gelegen waren, einen Meter tief.
Ja, sagte meine Mutter. Sie haben die Männer gezwungen, dass sie die Leichen ausgraben. Draußen bei der Eiche waren sie verscharrt gewesen. Dabei durfte niemand zusehen. Sie hätten uns erschossen. Der Bauer, der Vater von der Anne, hat einen Wagen stellen müssen, weil er der Oberste von den Nazis gewesen ist. Wir sind hinter dem Wagen her, mit großem Abstand. Das haben sie gewollt, dass wir zusehen, wie sie die Leichen durch das Dorf gefahren und am Friedhof wieder eingegraben haben, mit großem Pomp und allen Ehren.
Was das für ein Schaufeln war auf dem Dorffriedhof. Drei Gräber mussten sie ausheben, an der dem Wetter abgewandten Seite der Kirche. Sie richteten die Läufe auf die Köpfe der Schwitzenden und brüllten, dass sie schneller arbeiten sollten, schneller, schneller. Dann kam der Pfarrer und segnete. Dann kam der Wagner und stellte drei Kreuze auf. Der Tischler hatte die Kreuze nicht tischlern können, er war vor zwei Jahren schon geblieben auf dem Feld der Ehre, in jenem Land, das die Heimat der Männer mit den Maschinenpistolen war. Dem Wagner war es egal, ob er Holzräder drechselte oder Ochsenjoche oder Wagendeichseln oder simple Bretter zusammennagelte. Drei Männer in Uniform hielten ihm ihre Gewehre vor und erklärten ihm mit Händen und Füßen, wie die Kreuze aussehen sollten, ein langer Querbalken, ein kurzer darüber, ein schräger
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