Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
aber die Becher kippten wie zufällig um oder trafen auf eine feindselig gesinnte Fußspitze.
Frieder schaute nach draußen.
„Meinst du, das Wetter hält?“
„Mach doch nicht alles immer so kompliziert“, sagte Daria und mixte sich eine weitere Weinschorle, „natürlich hält es. Wenn nicht, bestelle ich ein Taxi und hole dir eine wärmende Strickjacke von zu Hause.“
Svenja kratzte mit der Gabel leicht über ihren Teller, als Vorbereitung für ihre Frage: „Kann ich jetzt weiter fernsehgucken, wo wir alles zu Ende gegessen haben?“
Daria nahm ihrer Tochter die Gabel aus der Hand und nickte. Svenja unterdrückte ein Grinsen, es klappte einfach immer.
Kurz vor sieben saß Frieder auf der Bettkante und betrachtete seine Frau, die sich gerade anzog. Er war am Nachmittag gelaufen, zur Isar hinunter. Auf seinem Weg durch Gerding sah er die ersten Osterglocken in den Gärten und Parks. Das putzige Gerding – die öffentlichen Anlagen waren tadellos gepflegt, die Grünstreifen entlang der Straßen durchsetzt mit Blumeninseln. Frieder joggte ungefähr zwei Kilometer die Isar entlang in nördlicher Richtung. An einer schmalen Holzbrücke kehrte er um und lief denselben Weg zurück. Das machte es leichter für seinen Kopf, wenn die Beine immer schwerer wurden.
Daria holte eine hellblaue Bluse aus dem Kleiderschrank und stellte sich vor die Spiegeltür. Frieder war sicher, dass sie kein Gramm mehr wog als vor einem Jahrzehnt, als sie sich kennengelernt hatten. Und in zehn oder zwanzig oder dreißig Jahren auch nicht mehr wiegen würde; es lag in ihren Genen. Sie hatte die Figur einer Sportlerin, ohne jemals Sport getrieben zu haben. Lange Beine, androgyn-schmale Hüften, kaum Po, kleine Brüste (die rechte etwas größer als die linke), sehr gerade Schultern – ihr stand ein Jackett besser als ihm.
Daria öffnete auch den dritten Knopf ihrer Bluse, rückte deren breiten Kragen zurecht, wog den Kopf hin und her und schloss den Knopf wieder. Als sie sich umdrehte und bemerkte, dass Frieder sie beobachtete, wischte sie mit der Hand durch seine Haare, die noch nass waren vom Duschen. Irritiert und leicht errötend drehte Frieder den Kopf weg, und schlagartig begriff sie, dass ihre Geste missglückt war; sie machte aus einem Mann einen Jungen. Dabei hatte sie sich gefreut, dass er sie anschaute.
„Was soll ich anziehen“, fragte Frieder und stand vom Bett auf.
„Was du willst. Nur bitte nicht das Marinesweatshirt.“
„Wo ist eigentlich Svenja?“
„Schon drüben. Wir haben übrigens nicht mehr viel Zeit. Es ist sieben.“
Frieder stand vor seinem Bereich des Kleiderschrankes, seine rechte Hand kletterte den Stapel mit Sommerpullovern rauf und runter, ohne dass er sich entscheiden konnte. Ein Geruch nach Holz und Lack strömte in seine Nase. Als Daria an ihm vorbeiging, vermischte er sich mit ihrem herben Parfüm.
„Grüß’ euch.“ Annemarie nahm Frieder in den Arm, in einer kurzen, fast körperlosen Bewegung. Daria überreichte ihr zwei Flaschen Wein, die nicht in Geschenkpapier eingepackt waren, sondern lediglich eine rote, übergroße Schleife um den Hals trugen.
„Ich habe mit Frieder diskutiert, ob wir einen Wein mitbringen können, den wir gemeinsam gekauft haben bei unserem Italiener“, sagte Daria.
„Nachdem ihr uns schon zur Genüge kennt“, sagte Frieder, „habt ihr in meinen Augen ein Anrecht auf ein Mitbringsel, das euch neu ist. Aber eure Einladung kam zu spät, um noch etwas vom Einkaufen mitzubringen.“
„Ich wollte ihn auf dem Handy anrufen, aber ich hab’s irgendwo im Haus verlegt.“
„Lässt du uns trotzdem über die Schwelle?“, fragte er.
„Nun kommt doch endlich rein“, sagte Annemarie mit einer leichten Prise Ungeduld und ging vor ihnen ins Wohnzimmer. Veronika und ihr Mann Hartmut saßen an dem mächtigen Esstisch aus massiver Eiche. Veronika erhob sich von ihrem Stuhl an der Kopfseite und umarmte Daria; sie trug ein hellblaues Dirndl mit weißen Streublüten und einem doppelreihigen Samtband um den Kragen, eine Dirndlbluse mit aufwendiger Lochstickerei und eine farblich perfekt abgestimmte, rotgeblümte Schürze. Daria verschwand fast unter Veronikas fleischigen Armen. Deren mächtiger Busen wirkte wie ein Paar Kanonenkugeln, das sich jeden Moment aus dem Büstenhalter freizusprengen drohte.
„Hartmut kann leider nicht aufstehen“, sagte Veronika. „Er hat sich auf die Bank gesetzt. Er fühlt sich gerne überall wie zu Hause, das heißt, mein
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