Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Beifahrersitz – den er aber nicht mehr brauchte, denn der Weg zum Bahnhof war ausgeschildert, und von da war es nur noch eine einzige Straße. Frieder quälte sich langsam vorwärts, vorbei an den Secondhand- und den türkischen Import-Export-Geschäften, im Sekundenkontakt mit seiner Armbanduhr. Hinter der Donnersberger Brücke murmelte er unablässig den Namen des Restaurants und schaute auf die Hausnummern. Er hatte Glück, er musste nicht auf die andere Seite (was angesichts der Straßenbahnlinien in der Mitte und den wenigen Wendemöglichkeiten kompliziert gewesen wäre), er blieb auf der rechten Spur, bis er den Edelitaliener endlich sah, einen weißen Bungalow mit weiträumiger Terrasse.
Das Lokal war nur sehr spärlich gefüllt. Im Eingangsbereich stand ein Aquarium, dessen Wasser seltsam grünlich schimmerte, davor ein kleiner, runder Tisch mit diversen Glasschalen, in denen Streichhölzer, Süßigkeiten und Salzgebäck angeboten wurden. Frieder versuchte, den Blicken eines vorbeilaufenden Kellners und des Barmanns an der gegenüberliegenden Wand zu entgehen. Er machte zwei Schritte nach links und entdeckte Freidorfer, der an einem Tisch für zwei Personen im äußersten linken Eck saß und mit seinem Handy spielte. Als er Frieder sah, legte er es neben seine Serviette und ging seinem Gast zwei Schritte entgegen. Frieder bemerkte zuerst die schwarzen Schuhe, die glänzten, wie er noch nie ein Paar Schuhe hatte glänzen sehen. Freidorfer trug einen grauen Westenanzug und ein weißes Hemd, dessen oberste Knöpfe nicht geschlossen waren und eine goldene Halskette entdecken ließen.
„Leider können wir nicht draußen sitzen“, sagte er lächelnd und streckte die Hand aus.
„Ich bitte um Entschuldigung“, murmelte Frieder, und rieb, sobald er sich gesetzt hatte, seine abgewetzten braunen Schuhe gegeneinander, als könnte er so den Eindruck, den sie sicherlich auf Freidorfer gemacht hatten, wieder auswischen. „Ich wollte vorher nach Hause, um mich umzuziehen. Wenn ich in der angemessenen Garderobe schon zur Arbeit gekommen wäre, hätten fünfzehn Kollegen ihre Augenbrauen hochgezogen, und ich bin nicht so gut im Erfinden von Ausreden. Aber mein Abteilungsleiter rief um zehn zu einer spontanen Besprechung und …“
„Wissen Sie“, sagte Freidorfer gedehnt, den Blick in die Speisekarte versenkt, „ich bin mehr an dem Menschen in der Kleidung interessiert.“
Der Kellner, ein dünner, blasshäutiger Mann mit einem wie von einem Bleistift gezogenen Dali-Bärtchen, erschien, neigte leicht den Kopf zur Seite und sagte zu Freidorfer: „Buon giorno, Dottore.“
Der Angesprochene antwortete in fließendem Italienisch; ein Dialog entspann sich, von dem Frieder nichts, absolut nichts verstand, und zum ersten Mal hasste er diese Sprache, deren Klang er so liebte.
„Antonio empfiehlt Seebarsch mit Sauce Choron. Vorher vielleicht Tagliatelle con funghi. Eine Karaffe leichter Frascati würde gut passen und wäre auch Auto-kompatibel.“
„E' d'accordo, Signore?“ Antonio beugte sich tief zu Frieder hinunter und zog ihm die Speisekarte aus den Händen. Frieder war konsterniert über diese Geste, Antonios Gesicht schien nur wenige Zentimeter von seinem eigenen entfernt. Frieder ruckte unwillkürlich mit dem Kopf nach hinten, murmelte „Oui“ und spürte im selben Moment, wie er errötete in der Peinlichkeit, französisch geredet zu haben.
„Ich liebe Italien“, sagte Freidorfer, „diese Leichtigkeit. Wir sind einfach ein verkrampftes Volk. Der Deutsche will unbedingt, dass der Zug pünktlich kommt. Der Italiener fragt sich: Habe ich überhaupt Lust, den Zug zu nehmen?“
„Ich war nur als Kind ein paar Mal in Italien, mit meiner Familie. Meine Frau hat Romanistik studiert, deshalb sind wir mehr nach Frankreich orientiert.“
„Sie wohnen in Gerding, nicht wahr? Dann hätten Sie es wirklich nicht mehr weit zur Arbeit.“
Achtung Falle, dachte Frieder und erwiderte: „Um in Ihrem Bild von vorhin zu bleiben: Ich suche nicht nach der besten Verkehrsverbindung, sondern nach dem reizvollsten Ziel.“
Antonio brachte die Pilze und stellte eine überdimensionale Pfeffermühle auf den Tisch. Freidorfer beugte sich leicht hinunter und fächelte sich mit der rechten Hand den Duft in die Nase. Dann sagte er etwas, das wie „meraviglioso“ klang. Antonio antwortete, und er schien die Lebensgeschichte jedes einzelnen Pfifferlings zu erzählen, bis er wieder verschwand. Freidorfer hob sein Glas und
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