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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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Freidorfer, der einen erst einlullt mit Small Talk und Komplimenten, und dann, völlig unvermittelt, hebelt er dich in zwei, drei Sätzen völlig aus.“
    „Du kanntest ihn doch schon, oder?“
    „Von drei oder vier Besprechungen im Sender. Jeweils im größeren Kreis. Er ist vielleicht Anfang, höchstens Mitte dreißig. Dunkler Anzug, teurer Haarschnitt, drei Mal die Woche Fitnessstudio, smarte Umgangsformen und knallharte Entscheidungen.“
    „Was hast du ihm denn gesagt, als er dich nach deiner Arbeit gefragt hat?“
    „Die langweilige Wahrheit: dass ich bei meiner ersten Firma immer noch meinen ersten Job mache.“
    „Ist das verachtenswert?“
    „Wer heute länger als drei Jahre denselben Job macht, gilt als Beamter, als Ärmelschoner. Bewahren ist eine Vokabel von gestern, gehen eine Art der Rückwärtsbewegung. Man muss laufen, beißen, zupacken.“
    „Freidorfer haben doch deine Analysen gefallen.“
    „So gut, dass er sich nicht mal an deren Thema erinnern konnte. Ich weiß nicht, warum er mich eingeladen hat. Vielleicht dachte er, ich wäre hungrig auf die große Medienkarriere und wild darauf, fünfzehn Stunden am Tag in seinem ‚Dreamteam‘ zu arbeiten. Oder er wollte wieder einmal bei diesem In-Italiener auf Firmenkosten speisen. Wie auch immer, die Sache ist gestorben.“
    Daria, die neben ihrem Mann stand, drehte sich um, ging in die Hocke und öffnete den Tiefkühlbereich des Kühlschranks. Ihr Rückgrat spannte sich unter dem engen T-Shirt. Er hatte plötzlich Lust, mit seinen Lippen ihren Rücken entlangzuwandern, jeden einzelnen Knorpel zu liebkosen; er fühlte sich deprimiert, noch deprimierter als am Nachmittag, nach seiner Rückkehr in die Firma, und irgendein seltsamer biochemischer Mechanismus wandelte die Niedergeschlagenheit in den Drang, mit Daria unters Laken zu gehen. Aber Svenja saß im Wohnzimmer über ihren Hausaufgaben, es war unmöglich.
    „Hast du etwas dagegen, wenn wir Fisch essen? Svenja hat Lust drauf.“ Daria richtete sich wieder auf, eine Packung tiefgefrorener Forellen in den Händen.
    Frieder hatte am Mittag den Italiener verlassen mit dem Vorsatz, in den nächsten Jahren nichts mehr zu essen, was Kiemen, Gräten und ein offenes Maul hatte. Aber er nickte –  schließlich hatte er Daria nicht erzählt, was Freidorfer bestellt hatte – und ging ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch lag Svenjas letztes Deutschdiktat, das er unterschreiben sollte. Sie hatte eine „Zwei minus“ bekommen, drei Fehler auf einer Seite, zwei davon mit doppelter Wertung. Die Klasse sollte den Unterschied zwischen „Mann“ und „man“ lernen, und Svenja hatte zwei Mal die verkehrte Form gewählt. Frieder wusste nicht, ob er seine Tochter loben oder kritisieren sollte, und so sagte er nichts.
    Sein Schweigen überlagerte auch das Abendessen. Minutenlang lag nur das Klirren des Bestecks in der Luft, bis Daria schließlich ihre Tochter in demonstrativer Ausführlichkeit über den Tag Bericht erstatten ließ. Aber Frieders Bewusstsein kippte nach innen, auf sein Scheitern am Mittag. Vor dem Gespräch schien es nur darum zu gehen, den Weg zur Arbeit von einer Autostunde auf fünf Fahrradminuten zu reduzieren; nun fühlte er sich gewogen und zu leicht gefunden, ausgemustert, aus dem fahrenden Zug namens Karriere geworfen.
    Nach dem Essen sagte Daria in der Küche, während er seine Fischreste in den Abfalleimer kippte: „Mach eine Runde um den Block und komm ohne die schwarze Wolke über deinem Kopf wieder.“
    Frieder ging sofort zur Telefonzelle an der S-Bahn. Mark war zu Hause, alleine, sie konnten ein paar Minuten reden und ein Treffen vereinbaren. Als Frieder unter der Bahnhofsüberdachung hervortrat, hatte es wieder zu regnen begonnen, heftiger als am Vormittag. Frieder flüchtete sich in die gegenüberliegende Kneipe, eine alte Bauernwirtschaft, in der die Luft stand vor Rauch und mächtige Aschenbecher auf den Tischen thronten, mit einem Ablagekranz für Zigarren. Die Bedienung, eine Frau im Dirndl jenseits der fünfzig, die ihr linkes Bein leicht nachzog, fragte: „Was darf ich dir bringen?“ Frieder hatte sie nie gesehen, und er kannte auch niemanden der anderen Gäste. Daria und er gingen abends nie in Gerding aus; abgesehen vom Babysitterproblem hätten sie auch nicht gewusst, wohin. Es gab natürlich Restaurants und ein halbes Dutzend traditioneller Dorfkneipen, aber überall fühlten sie sich gleichermaßen unzugehörig. „Abends versinkt Gerding in der Provinz“, sagte

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