Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Daria.
Der Rauch brannte in Frieders Hals; er leerte hastig sein Weißbier und lief nach Hause. Als er die nasse Jacke in der Diele aufhängte – Daria und Svenja waren offenbar schon oben im Bad oder Schlafzimmer –, klingelte das Telefon.
„He, Alter.“
Es gab nur einen einzigen Menschen, der Frieder niemals mit dessen Vornamen anredete.
„Bernhard. Wie geht’s?“ Frieder stellte sich mit dem schnurlosen Telefon vor den Spiegel und ordnete seine nassen Haare.
„Habe gerade die mieseste halbe Stunde meines Lebens hinter mir.“ Eine Frau lachte im Hintergrund laut auf, rief „Boh, du Schuft, du gemeiner“, dann hörte Frieder Hände, die auf einen offenbar nackten Rücken trommelten.
„Richte Grüße an die Urheberin aus, unbekannterweise, nehme ich mal an.“
„Hör zu“, sagte Bernhard, „Vaters Brief hast du bekommen, oder?“
„Vor ein paar Tagen.“
„Da gäbe es einiges zu bereden … Sollen wir uns nicht erst mal gemeinsam den Kopf zerbrechen? Wäre doch nicht verkehrt, wenn wir beide uns vorher einmal über die Problemlage austauschen würden. Wobei mich seine kommende Apfelernte weniger interessiert als unsere zukünftige Geldernte, Bruderherz. Komm einfach rüber für ein Wochenende. Freitagabend trinken wir die Stadt leer, du schläfst bei mir, und Samstag fahren wir gemeinsam zu Vati.“
Während Bernhard sprach, musste er sich der Frau an seiner Seite erwehren, die offenbar versuchte, ihn zu kitzeln oder durch sanftere Berührungen abzulenken. Seine Stimme klang undeutlich und entfernt, als hätte er den Hörer auf den Boden gelegt, um beide Hände frei zu haben. Frieder verlor augenblicklich das Interesse an dem Gespräch. Er fragte nur noch, ob er an einem der nächsten Wochenenden kommen solle. Als er statt einer Antwort nur das verspielte Schnurren der Frau hörte, legte er auf.
In diesem Moment kam Daria die Treppe hinunter.
„Soll ich zu ihr hoch?“
Daria schüttelte den Kopf. „Sie hat nicht von dir geredet. Lass sie noch eine Viertelstunde lesen. Trinkst du ein Glas Rotwein mit mir?“
„Ich bin vorhin in die Kneipe am Bahnhof geflüchtet. Ich bleibe heute Abend beim Bier.“
Sie setzten sich auf die Couch. Daria zog ihre Hausschuhe aus und legte die nackten Füße auf Frieders Schoß. Ihre Zehennägel waren rot lackiert, aber der Nagellack war an einigen Stellen bereits abgesprungen. Sie lackierte sich die Füße in unregelmäßigen Abständen – zumindest erkannte Frieder keine Beziehung zu Darias Stimmung oder bestimmten Ereignissen. Sie hatte einen schmalen Fuß, aber überraschend kleine, eng aneinander liegende Zehen. Frieder legte die Fingerkuppen der rechten Hand unter die Zehenballen. Er drückte sanft, und Daria schloss für einen Moment die Augen.
„Wer hat eigentlich angerufen?“
„Bernhard“, sagte Frieder und erzählte von dem geplanten Wochenendbesuch. „Mein Bruder ruft mich circa fünf Mal im Jahr an, und jedes Mal kommt er entweder aus dem Bett oder steigt mit irgendeiner Schnepfe gerade hinein.“
„Wie lange war er mit Elfie zusammen? Fünfzehn, sechzehn Jahre?“, fragte sie, und eine leichte Röte flog über ihre Wangen. „Er will vermutlich einfach nur seinen Spaß haben und das Katastrophenrisiko so gering wie möglich halten.“
„Und ich soll seine Erfolge mitzählen.“ Frieder hatte immer vermutet, dass Daria eine versteckte Schwäche für seinen Bruder hatte, obwohl sie in familiären Diskussionen selten seine Partei ergriff und ihn auch in der Trennungsphase von Elfie offen kritisierte. Bernhard war kleiner als Frieder, aber kompakter, seine Gesichtszüge etwas grob, wie nicht ganz zu Ende modelliert. Er verfügte, mutmaßte Frieder, über eine Art Attraktivität, die nach Schweiß und körperlicher Arbeit roch. Er grinste, wenn Frieder lächelte; er griff zu, wo sein zwei Jahre jüngerer Bruder schüchtern die Hand reichte.
Eine Pause trat ein. Frieder massierte Darias Zehen; er wünschte sich, sie würde ihn jetzt, genau in dieser Minute, ebenfalls berühren und die Krater zudecken, die der Tag in ihm aufgerissen hatte. Aber sie bewegte sich nicht, ihre Hände tasteten nach der Fernbedienung auf dem Tisch.
„Ich denke manchmal“, sagte er leise, „alles rutscht mir weg. Mein ganzes Leben. Es scheint so sicher, und doch denke ich manchmal, es rutscht unter mir weg, und ich habe nicht die Kraft, es aufzuhalten.“
Daria nahm die Fernbedienung, schaltete aber das Gerät nicht ein.
„Du lässt dich von solchen
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