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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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E-Mails und die Terminverwaltung aufgrund technischer Probleme erst am Nachmittag zur Verfügung stehen würden. Aber der Internetzugang funktionierte, und Frieder las in den Onlineausgaben verschiedener Zeitungen, während er seinen Kaffee trank. Undeutliche Stimmen wehten durch den Gang; die Büros neben seinem wurden aufgeschlossen, Frieder hörte, wie Aktentaschen auf Schreibtische gelegt und Schränke geöffnet wurden. Als aktiver Nichtraucher („aktiv“ war seine Beschreibung, „militant“ die der qualmenden Kollegen) hatte er einen Raum für sich selbst, der allerdings klein genug war, um keine Neidgefühle aufkommen zu lassen.
    Frieder begann die Woche mit einer Routinetätigkeit: Er übertrug die Einschaltquoten, die die Gesellschaft für Konsumforschung ermittelte und via Internet zur Verfügung stellte, in eine Datenbank, die er gemeinsam mit dem EDV-Fachmann seiner Firma entwickelt hatte. Diese Datenbank ermöglichte Abfragen nach bestimmten Sendungen, Genres, Uhrzeiten, Wochentagen, sogar nach bestimmten Schauspielern und Moderatoren. Ein komplexes, engmaschiges Netzwerk aus Informationen, das der Beantwortung der einen, der alles entscheidenden, der Königsfrage schlechthin diente: Warum hat der Zuschauer, das große bekannte-unbekannte Wesen, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau diese Sendung eingeschaltet?
    Der Regen hatte nicht aufgehört, war aber auch nicht stärker geworden. Frieder löste die Augen von seinem Bildschirm und schaute aus dem Fenster. Vielleicht fünfzig Meter entfernt befand sich ein Hotel der Holiday-Inn-Kette. Frieder wusste nicht mehr, wie oft er die Fenster gezählt hatte, senkrecht, waagerecht und diagonal, die geöffneten, geschlossenen und jene in Kippstellung. Er hatte ausgerechnet, wie lange im Durchschnitt eine Raumpflegerin in einem Zimmer verweilte von dem Moment an, in dem sie das Fenster öffnete, bis zu dem Moment, in dem sie es wieder schloss. Er wusste, welche Raumpflegerinnen gelegentlich eine Zigarette bei offenem Fenster rauchten.
    Nachdem Frieder gerade die Quoten von gestern übertragen hatte (der „Tatort“ war der Sieger in der begehrten Primetime, obwohl Daria ihn zu brutal und überkonstruiert gefunden hatte), las er einen Aufsatz über eine Lockerung des Pornographieverbots und ihre vermeintlich segensreichen Auswirkungen für das Bezahlfernsehen. Der Artikel brachte interessante Vergleiche mit dem Ausland, und da dieses Thema in periodischer Regelmäßigkeit aufs Tapet kam, legte Frieder einen Zettel zwischen die Seiten, um ihn später zu fotokopieren. Der Text war mit mehreren Fotos garniert; eines zeigte zwei liegende Männer in der 69er-Position. Würde er sich einen Schwulenporno anschauen, ein einziges Mal vielleicht nur?
    Um halb zwölf erschien die Meldung auf dem Bildschirm, dass alle Programme wieder störungsfrei arbeiten würden. Frieder aktivierte die Terminverwaltung dieses Tages – und alles Blut wich aus seinem Kopf. Er schüttelte langsam den Kopf, schaute auf sich herunter – er trug ein schwarzes, deutlich abgetragenes Sweatshirt mit V-Ausschnitt über einem weißen T-Shirt mit breitem Rundkragen und eine sandfarbene Cordhose – und flüsterte: „Du Vollidiot.“ Er tastete nach dem Autoschlüssel und schloss die Bürotür hinter sich. Auf dem Gang kam ihm die Sekretärin des Institutsleiters entgegen, in ihrer Hand den Essensplan der nahe gelegenen Kantine.
    „Frieder – geht es dir nicht gut?“
    „Meine Tochter ist krank“, sagte er, ohne anzuhalten, „Daria hat einen wichtigen Termin, ich muss mich beeilen.“
    „Kommst du heute noch wieder?“
    „Nein. Doch. So gegen drei vielleicht. Wenn ich nicht mehr komme, melde ich mich.“
    Frieder hetzte zu seinem Auto und überlegte, wie er am schnellsten nach Pasing kommen würde. Er musste durch die Innenstadt, am Bahnhof vorbei; zuerst über die Autobahn bis in die Prinzregentenstraße, aber dann – Frieder hatte einen Horror vor der City, weil er den Altstadtring, das Rückgrat der Verkehrsführung, einfach nicht kapierte, er verschloss sich Frieders Vorstellungskraft. Ein Schachbrett wie Manhattan wäre ideal, man sollte Stadtplanern einfach den Zirkel aus der Hand schlagen, dann könnten sie keinen Ring erfinden und ihn mit Überführungen, Abbiegeverboten und Tunneln zusätzlich verkomplizieren. Der Verkehr stellte sich Frieder entgegen, in der Prinzregentenstraße musste er vier Rotphasen an einer einzigen Ampel überstehen, den aufgeschlagenen Stadtplan auf dem

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