Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Geschichten wie heute mit Freidorfer einfach zu sehr runterziehen. In ein paar Wochen wirst du froh sein, dass es nicht geklappt hat. Ich habe das Gefühl, sein sogenanntes Dreamteam ist nichts anderes als ein Piranhaschwarm. Glaubst du, dass du da mitschwimmen solltest?“
Frieder stand auf und zuckte die Achseln.
„Ich sage Svenja Gute Nacht und bleibe gleich oben. Wenn du nichts Besseres vorhast …“
Daria zeigte sich überrascht und hob die Augenbrauen.
Er warf den sechsten oder siebten Stein ins Wasser. Nicht weit, nur so aus dem Handgelenk, im Sitzen. Die Isar schien bewegter als sonst; vielleicht wegen des starken Regens von gestern. Nur über dem Kiesbett, nahe am gegenüberliegenden Ufer, schien sie zu stehen. Es war sehr flach dort, das Wasser umspülte gerade mal die Knöchel. Es schimmerte gelblich, wenn die Nachmittagssonne darauf fiel.
Er hörte Schritte, das Knacken von Ästen. Er lächelte, drehte sich aber nicht um. Wartete, bis Marks Hand auf seiner Schulter lag. Dann nahm er die Tüte aus der Bäckerei und reichte sie wortlos, ohne sich umzudrehen, hinter sich. Frieder schaute einfach nur auf den Fluss; er wollte Mark nicht beim Essen zusehen, aber ihm gefiel die Vorstellung, dem Jungen etwas zu essen gebracht zu haben wie einer herrenlosen Katze.
„Du hast sogar an Mohnschnecken gedacht.“
Irgendetwas in Marks Stimme ließ Frieder erschrecken, und er drehte sich jäh um.
„Oh Gott“, sagte er, „wie ist denn das passiert?“
Marks Unterlippe war stark geschwollen, ein haardünner Riss, wie von einem Ring verursacht, führte von der Lippe fast bis zum Kinn, das auf der linken Seite bläulich-rot verfärbt und ebenfalls angeschwollen war. Mark trug eine breite, rechteckige Sonnenbrille, die Frieder noch nie gesehen hatte. Frieder wollte sie hochschieben, doch Mark zuckte zurück.
„Die Augen also auch“, sagte Frieder und holte tief Atem.
Mark senkte den Kopf, seine Finger wickelten langsam die Mohnschnecke auf. Er steckte einen halben Ring in den Mund und kaute vorsichtig.
„Ein … Freier?“
Mark schüttelte den Kopf und zeigte mit einem Finger auf den Mund, zum Zeichen, dass er nicht gleichzeitig kauen und reden konnte. In diesem Moment fiel Frieder das Telefonat am Samstagvormittag ein.
„Etwa dein Vater? Ich dachte, der wäre aus eurem Leben endgültig verschwunden?“
„Er taucht immer wieder auf. Alle paar Monate. Wenn das Sozialamt ihm Druck macht, nehme ich an, weil er zu wenig Kohle überweist. Meistens Freitagabend, mit einer Schachtel Weinbrandbohnen für meine Mutter. Er füttert sie damit ab, vor dem Fernseher, erzählt irgendwelche Storys, warum gerade Ebbe ist in seiner Kasse, und dass er vielleicht wieder zurückkommt und nur noch Zeit braucht, und meine Mutter heult und heult und sagt, er soll sie endlich in Frieden lassen. Dann geht sie ins Schlafzimmer, und er geht hinterher und hängt seinen Schwanz in sie rein. Ficken statt zahlen.“
„Warum lässt sie das mit sich machen?“
„Frag mich doch was Leichteres.“ Mark ließ sich auf den Rücken fallen und kramte eine Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche. Sein Kopf lag am Rand der Decke, einzelne Haarsträhnen fielen ins Gras. „Warum lässt sich der Esel schlagen? Weil er nichts anderes kennt. Weil meine Mutter denkt, die Männer sind so. Sie hält ja auch die Klappe, wenn mein Vater seine erzieherischen Aufgaben bei mir wahrnimmt. Aber nachher gibt sie mir ein Pflaster.“
Mark zündete die Zigarette an und blies den Rauch senkrecht in die Luft. Frieder sah, dass der Junge an diesem Morgen die Pickel auf seiner Stirn und den Wangen nicht überpudert hatte. Vielleicht würde er in diesem Zustand nicht in die Stadt fahren, aber vermutlich auch nicht in den Unterricht gehen. Wenn er überhaupt noch in die Schule ging.
„Werden deine … Kunden auch manchmal gewalttätig?“
„Ich habe fast nur Stammis“, sagte Mark und streckte seine Glieder. Die Luft war mild und warm, obwohl die Bäume das meiste Sonnenlicht auffingen. Aber der gestrige Regen war noch zu spüren, die Blätter und das Gras rochen satt und intensiv.
„Stammis?“
„Stammkunden eben. Feste Kunden, feste Zeiten, feste Wünsche, feste Preise.“
„Immer da unten in den Toiletten?“
„Bist du mein Bewährungshelfer oder mein Pfarrer oder was? Warum willst du das wissen? Nein, nicht immer da. Einer geht mit mir in ein Hotel, über Nacht. Er bringt einen Schlafanzug mit, den er als Kind getragen hat. Den muss ich
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