Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
anziehen, er redet mich mit seinem Namen an und singt mir ein Schlaflied vor, immer wieder dasselbe. Ich sage nichts, stecke nur den Daumen in den Mund, drehe mich irgendwann zur Seite und mache die Augen zu.“
„Mehr macht er nicht?“
„Er rührt mich nicht an. Aber ich muss aus dem Hotel verschwinden, wenn er in den Frühstücksraum geht.“
„Was weißt du noch von dem Mann, ich meine …“
„Hör auf. Ich habe jetzt keine Lust auf Gelaber.“
Mark drückte die Zigarette auf dem Waldboden aus und drehte sich auf den Bauch. Frieder saß neben ihm; er hatte plötzlich Lust, ihm irgendetwas aus seinem Leben zu erzählen. Der Junge fragte ihn nie etwas, im Auto zeigte er einmal auf ein kleines Foto von Daria und Svenja, das in der Mitte des Armaturenbrettes hing – der Bilderrahmen war ein Weihnachtsgeschenk von Darias Mutter, den Frieder, obwohl er ihn geschmacklos und penetrant fand, nicht entfernen wollte. Mark hatte nur gefragt „Frau und Tochter, oder?“; als Frieder zu einem weitschweifigen Bericht ausholte, schaute Mark zum Seitenfenster hinaus und murmelte:“Ist nicht wichtig für mich.“
Nichts aus meinem Leben, dachte Frieder, interessiert ihn. Vielleicht interessiere ich ihn, aber mein Leben interessiert ihn nicht, ich laufe manchmal ins Bild, für eine halbe Stunde, aber er will nichts über mich wissen, ich soll keine Spuren hinterlassen.
„Wie lange willst du eigentlich noch so weitermachen?“, fragte Frieder, und die Enttäuschung schärfte seine Stimme; sie klang aggressiver, als er gewollt hatte.
„Ich habe da schon so eine Idee, Papa“, sagte Mark und drehte sich wieder auf den Rücken, „aber darüber kann ich noch nicht reden.“
Er griff in die Innentasche seiner Lederjacke und holte einen Fotoapparat heraus. Kaum größer als seine Handfläche, silbern, mit einem Objektiv, das auf Knopfdruck sirrend herausfuhr.
„Ich möchte ein Foto von uns. Auch wenn ich heute scheiße aussehe.“
Er stand auf, drehte sich im Kreis und machte vier Schritte auf einen Baum zu, der in ungefähr einem Meter Höhe umgeknickt war und dessen Stumpf eine Ablagefläche bot. Hoffentlich ist es nicht zu dunkel, sagte er, und schaute in den Sucher. Die Sonne kroch zu dieser Stunde erst auf Gerding zu, aber von der Flussseite her fiel genügend Licht herüber – Mark streckte den rechten Daumen nach oben. Er ging in die Hocke, auf eine Höhe mit dem Stumpf, stellte den Fotoapparat darauf, verschob ihn nach einem Kontrollblick durch die Linse um wenige Zentimeter nach rechts und aktivierte den Selbstauslöser.
Frieder saß mit aufgestützten Armen auf der Decke. Der Junge kniete sich hinter ihn, legte den Kopf auf Frieders Schulter und lächelte. Der Selbstauslöser tickte noch einige Sekunden – es klang wie das Aufziehen einer alten Taschenuhr –, und als das Geräusch aussetzte, spürte Frieder plötzlich die Hand des Jungen flach und sehr warm an seiner Wange. Dann machte es klick.
„Kannst du mich in der Stadt absetzen?“, fragte Mark, als er sich von Frieder gelöst hatte und die Reste der Mohnschnecke in die Tüte fallen ließ.
„Warum bleiben wir nicht wenigstens noch ein paar Minuten? Einfach nur daliegen und die Isar in den Ohren rauschen lassen.“ Frieder hatte Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen.
„Darum.“ Mark stand neben der Decke und hielt einen Zipfel in der rechten Hand, als wollte er Frieder, der noch auf ihr saß, einfach herunterschütteln.
Später, im Wagen, erzählte Frieder, dass er am kommenden Wochenende nach Karlsruhe wolle, zu seinem Bruder und Vater. Aber nur das Wochenende, nicht länger. Mark sagte nichts, er schaute nur aus dem Seitenfenster. Sie fuhren im Strom der Berufspendler über die Ismaninger Straße bis nach Haidhausen. Am Max-Weber-Platz musste Frieder links abbiegen, Mark nahm dort die U-Bahn. Als Frieder auf die Kreuzung zufuhr, sprang die Ampel auf Rot, und Frieder bremste. Der Junge machte plötzlich die Beifahrertür auf und sprang aus dem Wagen. Ohne etwas zu sagen, ohne Frieder anzuschauen, ohne ihm die Hand zu geben. Das hatte er noch nie getan.
Die Tüte aus der Bäckerei blieb im Auto liegen. Bis auf die Mohnschnecke hatte Mark nichts angerührt.
Kurz hinter Pforzheim fiel Frieder ein, dass er Bernhards Adresse nicht im Kopf hatte. Die Fahrt war bis dahin überraschend glattgelaufen; er war gleich nach dem Mittagessen aufgebrochen (Svenja hatte ihn nicht umarmen, sondern ihm nur, mit abgewendetem Blick, die Hand geben
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