Das letzte Einhorn
denn nicht? Warum sprichst du nur in Rätseln?« Langsam öffnete sich ein Auge, goldengrün wie Sonnenschein in feuchten Wäldern. »Ich bin, was ich bin. Ich würde dir gern sagen, was du wissen willst, denn du bist gut zu mir gewesen. Doch bin ich eine Katze, und keine Katze hat jemals eine klare Antwort gegeben.«
Ihre letzten Worte gingen in ein tiefes und regelmäßiges Schnurren über, sie schlief ein, das eine Auge halb geöffnet. Molly hielt sie in ihrem Schoß und streichelte sie; die Katze schnurrte im Schlaf, aber sie sprach nicht noch einmal.
Drei Tage nachdem er ausgezogen war, den Oger mit der Schwäche für Dorfmädchen zu erschlagen, kehrte Prinz Lir heim. Die Große Axt es Herzogs Alban hatte er umgehängt, der Kopf des Oger baumelte an seinem Sattel. Keine der beiden Trophäen brachte er zu Lady Amalthea, auch eilte er nicht mit bluttriefenden Händen zu ihr. Er hatte sich entschlossen, die Lady Amalthea hinfort nicht mehr mit seinen Galanterien zu belästigen, vielmehr in Gedanken an sie still dahinzuleben, ihr voll Demut zu dienen bis zu seinem einsamen Tode, zu verzichten auf ihre Gesellschaft, ihre Bewunderung und ihre Liebe. »Ich werde so unauffällig sein wie die Luft, die sie atmet, so unsichtbar wie die Kraft, die sie an die Erde bindet«, sagte er am Abend seiner Heimkehr in der Küche zu Molly Grue. Nach einigem Nachdenken fügte er dann hinzu: »Vielleicht werde ich hie und da ein Gedicht für sie schreiben und es unter ihrer Tür durchschieben, oder es irgendwo liegenlassen, wo sie es zufällig finden wird. Aber keines von diesen Gedichten werde ich unterschreiben!«
»Das ist sehr edel«, erwiderte Molly. Sie war erleichtert, dass der Prinz seine Hofmacherei aufgab, ein wenig belustigt darüber und ein bisschen traurig. »Mädchen finden an Gedichten mehr Gefallen als an toten Drachen und Zauberschwertern«, tröstete sie ihn. »Ich zumindest tat es immer, als ich ein Mädchen war. Der Grund, weshalb ich damals mit Cully davonlief …«
Doch Ur fiel ihr in Wort. »Nein, mach mir keine Hoffnungen«, sagte er fest, »ich muss lernen, ohne Hoffnung zu leben, wie es mein Vater tut. Vielleicht werden wir beide uns dann endlich verstehen.« Er suchte in seinen Taschen, und Molly hörte das Knistern von Papier. »Ich habe schon ein paar Gedichte darüber geschrieben, über Hoffnung, Liebe und solche Sachen, Wenn du Lust hast, kannst du sie ja mal durchsehen.«
»Mit Vergnügen«, sagte Molly. »Aber wirst du dann nie wieder hinausziehen, um mit schwarzen Rittern zu kämpfen und durch Waberlohen zu reiten?« Sie hatte ihn mit diesen Worten hänseln wollen, doch während sie sprach, fand sie plötzlich, dass es schade wäre, wenn es sich so verhielte, denn seine Abenteuer hatten ihn viel hübscher und um einiges schlanker gemacht, und ihm obendrein eine Spur von dem bitteren Todeshauch verliehen, der allen Helden anhaftet. Doch der Prinz schüttelte den Kopf und sah fast verlegen aus.
»Oh, ich werde wohl auch weiterhin mitmischen«, murmelte er. »Aber nicht, um – damit anzugeben oder um zu beeindrucken. Zuerst habe ich es aus diesen Gründen getan, doch dann wird es eine Art Gewohnheit, Menschen zu retten, Verzauberungen zu lösen, den verruchten Grafen zum Zweikampf zu fordern; es fällt schwer, kein Held mehr zu sein, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat. Gefällt dir das erste Gedicht?«
»Es steckt voller Gefühl«, antwortete sie. »Kann man wirklich ›Mythe‹ auf ›Tüte‹ reimen?«
»Es muss noch ein wenig poliert werden«, räumte Prinz Ur ein. »Mirakel ist das Wort, das mir Schwierigkeiten macht.«
»Ich habe mir schon über Jabernakel den Kopf zerbrochen.«
»Nein, ich rede von der Rechtschreibung. Schreibt man das mit einem r und zwei l, oder gerade umgekehrt?«
»Mit einem r, glaub’ ich«, meinte Molly. »Schmendrick« – denn der Zauberer trat gerade mit eingezogenem Kopf durch die Tür –, »wie viele r hat das Wort Mirakel?«
»Zwei«, antwortete er müde. »Hat den gleichen Stamm wie ›Myrrhe‹.« Molly schöpfte ihm einen Napf voll Brühe, und er ließ sich seufzend am Tisch nieder. Seine Augen sahen hart und wolkig wie Jade aus, eines seiner Augenlider zuckte. »Ich halte das nicht mehr lange aus«, sagte er mühsam. »Es ist nicht dieser schreckliche Ort, und auch nicht, dass ich ihm die ganze Zeit zuhören muss – darin werde ich von Tag zu Tag besser –, nein, es ist dieser entsetzliche Hosenträgerjakob-Humbug, den ich ihm stundenlang
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