Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
aus und stürze in die Tiefe. »Ja, ich kann segeln.«
Galcerán hebt die Augenbrauen, während er mich beobachtet, als ich mit kleinen Schritten und beiden Händen an der Wand einen Mauervorsprung umrunde.
Er bleibt dicht hinter mir.
Er steigt über eine Regenrinne, wirft einen Blick zurück, ob wir verfolgt werden, stapft dann um den Vorsprung herum und folgt mir über das gewölbte Dach der Südgalerie.
Jetzt habe ich den zweiten Mauervorsprung erreicht. Das Schrägdach davor endet oberhalb der Kuppel des Baptisteriums. Von dort können wir auf das Dach des Anbaus springen und dann in den Hof, der von Büchern übersät ist. Die Folianten wurden aus den Fenstern des Palastes vor mir geschleudert.
Galcerán bleibt neben mir stehen und späht über den Rand nach unten. »Der Innenhof unter uns. Gehört der zum Palast des Patriarchen von Konstantinopolis?«
»Die Bücher stammen aus seiner Bibliothek.«
»Kein Türke weit und breit.«
»Siehst du die Fahne, die vor dem Portal der Residenz weht? Der Palast des Patriarchen ist längst geplündert.«
»Und verlassen. Die Fahne bedeutet, dass dort nichts mehr zu holen ist.«
»Genau.«
»Dann los.«
In diesem Augenblick ertönt eine donnernde Explosion. Ich wirbele herum. Die Yeniçeriler folgen uns über das Dach. Ein zweiter Schuss kracht.
»Sie haben Arkebusen!«, keucht Galcerán, während wir über das Schrägdach stolpern und nebeneinander auf das Kuppeldach der Taufkapelle springen.
Blick nach oben: Mit ihren Stiefeln, die so rutschig sind wie meine, versuchen die Türken, einen festen Stand auf dem Bleidach vor dem ersten Mauervorsprung zu finden, um die Arkebusen nachzuladen und erneut auf uns anzulegen.
Galcerán und ich hasten über die mit Bleiplatten belegte Kuppel auf die andere Seite des Baptisteriums. Doch die flache Wölbung bietet uns keine Deckung vor den Schüssen, denn die Türken stehen schräg über uns.
Kugeln prasseln auf das Bleidach, als wir hinunter auf das Dach des Anbaus springen und von dort in den Innenhof des Patriarchats.
»Und jetzt?«
Ich deute nach Süden. »Zum Bukoleon-Palast. Da lang!«
Von oben blitzt wieder Mündungsfeuer auf.
»Deckung!«, brüllt Galcerán und zerrt mich hinter sich her durch den mit Kastanienbäumen bepflanzten Hof. Plötzlich stößt er einen Schrei aus.
»Was ist denn?«
Mit schmerzverzerrtem Gesicht deutet er auf seine Seite. »Ich bin getroffen worden.«
»Verdammt!«
Er knirscht mit den Zähnen und tastet nach der Wunde unter seiner Rüstung. Als er die Finger wieder hervorzieht, sind sie blutig. Entsetzen flackert in seinem Blick. »Alessandra?«
»Was ist?«
»Bitte lass mich nicht zurück.«
Kapitel 90
Im Hof des Patriarchats von Konstantinopolis
29. Mai 1453
Kurz nach halb drei Uhr nachmittags
»Ich helf dir. Leg deinen Arm um mich und stütz dich auf mich. Wir lassen die Waffen von Diniz und Cesare hier und nehmen nur die Tasche mit dem Mandylion mit.«
Schüsse hallen durch den Innenhof. Die Ziegelmauer des Patriarchats wird getroffen, rote Steinsplitter spritzen durch die Luft.
»Und jetzt komm, Galcerán. Wir bleiben zusammen.«
Der erste Gebetsruf von der Hagia Sophia lässt mich zusammenzucken:
»Allahu akbar! Allaaaaaaahu akbaaaaaaarrrrr!«
Während die Yeniçeriler über uns über das Bleidach poltern, hetze ich mit Galcerán, der sich auf mich stützt, über den Hof des Patriarchats zu einem Tor, das zur Orea Porta führt, zum Portal des Kaisers, durch das wir vorhin die Hagia Sophia betreten haben. Galcerán keucht vor Schmerz, und ich kann ihn in seiner schweren Rüstung kaum noch halten.
Wenn wir stürzen … Wenn ich es nicht schaffe, ihn wieder auf die Beine zu bekommen …
Nein, nicht daran denken! Weiter!
»Ashadu an la ilaha illa-llaaaaaaah …«
Ich drücke mich in eine an der Mauer emporrankende Kletterrose, öffne das Tor einen Spaltbreit und luge hinaus in den Vorhof vor der Orea Porta.
»Yeniçeriler?« Ein Schuss vom Dach übertönt Galcerans Frage beinahe.
Ich luge um die Ecke. »Niemand zu sehen.«
»Ashadu an na Muhammadan rasulu-llaaaaaaah …«
»Lass uns gehen!«, drängt Galcerán hinter mir. Seine Stimme klingt gepresst. Ich glaube, er hat starke Schmerzen. Ich muss mir seine Wunde ansehen und sie verbinden. Und ihm ein wenig von dem Haschisch geben, das Konstantin mir letzte Nacht als Hochzeitsgeschenk überreicht hat.
»Hayya ala as-salat, hayya ala al-falaaaaaah …«
Ich stoße das Tor auf und lege mir Galceráns Arm über
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