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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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schon, aber dazu komme ich später. Lassen Sie mich erst diesen Gedankengang beenden. Sie stimmen mir zu, wenn ich sage, dass viele Ihrer ehemaligen Kollegen von der SS Freude amTöten hatten, nicht wahr? Es hatte zumindest den Anschein, oder? Dass einige dieser Männer von der SS Psychopathen waren?»
    Ich nickte. «Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Colonel.»
    «Ganz recht. Nehmen Sie den Fall von Rudolf Höß, Kommandant in Auschwitz. Er hatte schon früher einen Mord begangen, 1923, um genau zu sein. Genau wie Martin Bormann. Ein Mann wird nicht zum Psychopathen, weil er eine Uniform anzieht. Viele von ihnen waren Psychopathen, die in der SS und bei der Gestapo als Mörder und Folterknechte eine geeignete Aufgabe fanden.»
    «Diese Vermutung hatte ich schon immer», sagte ich. «Stellen Sie sich vor, wie es mir erging, als ich 1940 zur SS eingezogen wurde. Es ist ein veritabler Schock, wenn man sein ganzes Leben lang Mordfälle aufklärt und dann nach Russland geschickt wird, um selbst zu morden.»
    «Ich wollte nicht andeuten, dass Sie ein Psychopath sind, Herr Gunther. Hören Sie, sagen wir, dieser Mörder von 1932 wird nicht geschnappt. 1933 kommen die Nazis an die Macht, und er geht zur SS, wo er die Möglichkeit hat, seine Lust an Grausamkeit zu befriedigen. Während des Krieges arbeitet er in einem Todeslager und tötet völlig ungestraft nach Lust und Laune.»
    «Und dann laden Sie ihn ein, nach Argentinien zu kommen, um hier zu leben», sagte ich. «Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, aber ich weiß nicht, wie ich Ihnen behilflich sein könnte.»
    «Ich hätte gedacht, das sei offensichtlich. Die Chance, einen ungelösten Fall aufzurollen.»
    «Ich bin nicht pedantisch, Colonel. Und glauben Sie mir, wir hatten reichlich andere ungelöste Fälle in unseren Akten. Keiner davon bringt mich um den Schlaf.»
    Der Colonel nickte einsichtig, doch ich sah ihm an, dass er längst noch nicht alle Trümpfe ausgespielt hatte.
    «Ein weiteres Mädchen ist verschwunden», sagte er. «Hier in Buenos Aires.»
    «Ständig verschwinden irgendwo Mädchen», erwiderte ich.«Darwin nannte es die natürliche Auswahl. Ein Mädchen wählt einen jungen Mann, ihr Vater mag ihn nicht. Also brennt sie mit ihm durch.»
    «Dann kann ich also nicht an Ihr soziales Gewissen appellieren?»
    «Ich kenne mich in dieser Stadt nicht aus. Ich spreche die Sprache kaum. Ich bin wie ein Fisch auf dem Trocknen.»
    «Das stimmt nicht so ganz. Das verschwundene Mädchen ist Deutschargentinierin. Wie Grete Wohlauf. Ich dachte, dass Sie Ihre Nachforschungen in unserer deutschen Gemeinde beginnen könnten. Habe ich bereits erwähnt, dass mein Gefühl mir sagt, es handele sich um einen deutschen Täter? Sie müssen gar kein Spanisch können. Und Sie müssen sich nicht in der Stadt auskennen. Sie müssen ein Deutscher sein. Sie müssen einer von ihnen sein, wenn sie unter diesen Leuten für mich auf die Jagd gehen. Als ich sagte, sie könnten mein Engel sein, da dachte ich an einen schwarzen Engel. Haben die Deutschen die Männer bei der SS nicht so genannt? Schwarze Engel?»
    «Schick einen Dieb, wenn du einen Dieb fassen willst, oder wie?»
    «So ähnlich, ja.»
    «Das wird meinen alten Kameraden nicht gefallen. Sie haben neue Namen, einige von ihnen sogar neue Gesichter. Und Amnesie. Ich könnte mich bei einigen der skrupellosesten Männer in ganz Südamerika sehr schnell sehr unbeliebt machen. Anwesende selbstverständlich ausgeschlossen.»
    «Ich habe bereits darüber nachgedacht, wie wir vorgehen könnten, damit Sie am Ende nicht tot sind.»
    Ich lächelte. Er war beharrlich, das musste man ihm lassen. Und mir wurde klar, dass er bereits sämtliche meiner Einwände kannte, bevor ich sie aussprach, und schon Gegenargumente parat hatte, um sie zu entkräften. «Das glaube ich Ihnen gern, Colonel.»
    «Ich habe sogar Ihre finanzielle Situation bedacht», sagte er.«Sie haben Ihr Geld bei der Bank of London and South America umgetauscht – bei der Zweigstelle an der Calle Bartolomé Mitre, nicht wahr?»
    «So viel zum Bankgeheimnis in diesem Land», sagte ich missmutig.
    «Sie werden festgestellt haben, dass fünfundzwanzigtausend österreichische Schillinge nicht mehr viel wert sind. Meinen Berechnungen zufolge verfügen Sie über tausend Dollar. Damit werden Sie in Buenos Aires nicht lange hinkommen. Ein Jahr vielleicht, vielleicht aber auch kürzer, falls es unvorhergesehene Ausgaben gibt – und glauben Sie mir, meiner Erfahrung nach gibt es

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