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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Zementblocksteinen mit Wellblechdächern. Halbnackte Kinder, die auf Zuckerrohr kauten wie Hunde auf Knochen, winkten uns aus ihren
villas miserias
zu. Vom weltstädtischen Buenos Aires aus betrachtet hatte Argentinien wie ein wohlhabendes Land gewirkt. Hier draußen jedoch, in den Plantagen der Feuchtpampa, erschien das achtgrößte Land der Erde zugleich wie eines der ärmsten.
    Einige Kilometer weiter hatten wir die Zuckerrohrfelder hinter uns gelassen. Stattdessen wuchs nun rechts und links Mais bis hinunter zum Río Dulce. Wir erreichten eine Holzbrücke, die nicht viel besser in Schuss war als die Schotterpiste davor und dahinter. Auf der anderen Seite angekommen, hielt ich an und warf einen Blick auf die Karte. Die Sierra erhob sich vor uns, der Fluss lag zur Rechten, Maisfelder zur Linken, und die Piste führte sanft bergab.
    «Hier gibt es überhaupt nichts», sagte Anna. «Nur jede MengeZuckerrohr und noch mehr Himmel.» Sie stockte. «Wie sieht dieser Ort eigentlich aus, zu dem wir wollen?»
    «Kann ich nicht genau sagen», erwiderte ich. «Aber ich weiß es, sobald ich ihn sehe.» Ich legte ihr die Karte in den Schoß, kuppelte ein und fuhr weiter.
    Ein paar Minuten später erreichten wir die Ruinen eines Dorfes – eines Dorfes, das nicht in der Karte eingezeichnet war. Kleine weiße Hütten ohne Dächer säumten die Straße. Eine verfallene Kirche war der Bau eines Rudels streunender Hunde, doch Menschen lebten hier offenbar nicht mehr.
    «Wohin sind sie alle verschwunden?»
    «Ich nehme an, sie wurden von der Regierung umgesiedelt. Die ganze Gegend hier wird überflutet, sobald sie den Fluss aufstauen.»
    «Mir fehlt die Gegend jetzt schon», sagte Anna.
    Am Ende des verlassenen Dorfes führte eine schmale Gasse nach rechts, und auf einer Häuserwand sahen wir die schwachen Umrisse eines Pfeils mit den Worten «Laguna Dulce» darunter – die süße Lagune. Wir bogen in die Gasse ein, die zu einer Piste wurde und hinunter in das Tal führte. Wir fuhren unter einem dichten Blätterdach, und ich schaltete die Scheinwerfer ein, bis wir wieder im Sonnenlicht waren.
    «Mir gefällt der Gedanke nicht, dass uns hier das Benzin ausgehen könnte», sagte Anna, während wir von einem Schlagloch zum nächsten rumpelten. «Mitten im Nirgendwo. Ganz schön deprimierend.»
    «Wenn du umkehren möchtest, sag Bescheid.»
    «Aber vielleicht sind wir schon nach der nächsten Kurve am Ziel? Wir kehren auf keinen Fall um!»
    Schließlich erreichten wir eine Lichtung und eine Kreuzung.
    «Wohin jetzt?», fragte Anna.
    Ich fuhr zunächst einige Minuten lang geradeaus weiter, dann jedoch setzte ich zurück zur Kreuzung und entschied, in die andere Richtung zu fahren. Einen Augenblick später sah ich es.
    «Wir sind auf dem richtigen Weg», sagte ich.
    «Woher weißt du das?»
    Ich verlangsamte meine Fahrt. In den Büschen am Rand des Weges lag eine leere Spindel mit einem Etikett: GLASGOW WIRE. «Hier hat der Schotte seinen Draht abgeliefert.»
    «Und du glaubst, dass sie ein Flüchtlingslager errichtet haben?»
    «Ja», sagte ich. Aber ich ahnte schon, dass dieses Lager, falls es je eines hier draußen gegeben hatte, nicht mehr existierte. Das gesamte Tal war verlassen. Ein Flüchtlingslager musste versorgt werden. Lebensmittel und Waren mussten transportiert werden. Es gab keinerlei Hinweis, dass diese Straße in letzter Zeit befahren worden war. Unsere Reifenspuren waren die einzigen im roten Lehmboden.
    Wir fuhren anderthalb Kilometer, bis ich fand, wonach wir suchten. Eine Reihe dichter Bäume und ein mit Stacheldraht bewehrtes Tor, hinter dem sich der Weg weiter ins Tal hinein fortsetzte. Hinter den Bäumen zog sich ein hoher Stacheldrahtzaun hin. Ein Schild am Tor warnte auf Spanisch:
     
    PRIVATBESITZ DER COMPAÑÍA ARGENTINA PARA PROYECTOS Y REALIZACIONES INDUSTRIALES (CAPRI).
    UNBEFUGTES BETRETEN STRENG VERBOTEN GEMÄSS BUNDESGESETZ. ACHTUNG! LEBENSGEFAHR!
     
    Das Tor war mit drei Ketten sowie großen Vorhängeschlössern gesichert und fast drei Meter hoch. Wir würden nicht einfach darüberklettern können. Und die Sicherheitsschlösser waren gepanzert, sodass wir sie nicht einfach würden aufbrechen können.
    Ich lenkte den Jeep in eine Lücke zwischen den Bäumen und schaltete den Motor ab.
    «Ich glaube, wir sind da», sagte ich.
    «Und was jetzt?», Anna sah sich fragend um.
    Ich öffnete die Werkzeugkiste im Heck des Jeep und durchsuchte ihn hoffnungsvoll. Wie es schien, war Pedro Geller für beinahejede

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