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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Unter den Linden. Das war es, woran ich mich in Immelmanns Büro zu erinnern versucht hatte.
    «Bitte entschuldigen Sie!», sagte der Herr von   I.G.   Farben. Sein Tonfall war steif wie ein Waschbrett und genauso eckig. «Aber ich muss wirklich Einspruch erheben gegen Ihr flegelhaftes Benehmen. So geht man nicht mit einer Dame um!»
    Die Rothaarige rappelte sich vom Boden auf und gab ein paar Flüche von sich, die man sonst höchstens noch in den Kesselräumen deutscher Schiffe zu hören bekam. Sie fragte sich wahrscheinlich, ob der Mann mit dem hohen Kragen und dem Frack sie meinte, als er von einer Dame gesprochen hatte. Sie packte die inzwischen leere Sektflasche und holte zu einem Schlag gegen Riccis Kopf aus. Der Anführer der Allzeit Getreuen fing sie geschickt ab, entwand sie ihrer Hand, schleuderte sie in die Luft wie ein Jongleur, fing sie am Hals wieder auf und schlug sie gegen die Kante des umgestürzten Tisches, alles in einer einzigen, fließenden, erprobten Bewegung. Der Bauch der Flasche zerbarst, und der abgebrochene Hals glitzerte bedrohlich, rasiermesserscharf. Ricci packte den Herrn von   I.G.   Farben an den Revers, zerrte ihn zu sich heran und machte Anstalten, ihm etwas zu erwidern – in der Sprache, die er am besten verstand.
    Der Barmann des Adlon machte die besten Cocktails in ganz Berlin. Außerdem liebte er Gurken. Er stellte immer Schälchen mit eingelegten Gurken auf die Tische und benutzte für einige seiner Cocktails frische Salatgurken. Auf dem Tresen der Bar lag eine große ungeschnittene Gurke. Sie war mir bereits einige Sekunden zuvor aufgefallen, als ich mich suchend nach einer Waffe umgesehen hatte, einem Messer beispielsweise. Abgesehen von Eis gehört meiner Meinung nach nichts in einen Drink, vor allem keine Gurken, doch jetzt konnte ich diese Gurke wirklich gut gebrauchen. Ich hatte nämlich meine Dienstpistole im Handschuhfach meines Wagens liegen lassen.
    Ich schlage eigentlich niemanden, der mir den Rücken zuwendet. Auch nicht mit einer Gurke. Ich finde, es ist nicht fair. Doch weil Ricci Kamm keinen Sinn für Fairness besaß, schlug ich dennoch zu, hart und entschlossen. Ich zielte auf den Handrücken, Ricci hielt immer noch die zerbrochene Flasche. Er ächzte und ließ die Flasche fallen. Ich schlug erneut mit der Gurke zu, diesmal zielte ich gegen seinen Kopf. Ich traf ihn zweimal an der Seite. Hätte ich Eis und Zitrone gehabt, ich hätte ihn wahrscheinlich auch damit geschlagen. Ein Raunen ging durch den Raum, als hätte ich ein Kaninchen in einem Zylinderhut verschwinden lassen. Das einzig Dumme daran: Das Kaninchen war noch da. Ricci plumpste schwer auf den Hintern und hielt sich das Ohr. Er fletschte die Zähne, seine Nase zuckte, und er griff in die Innentasche seiner Jacke. Ich bezweifelte, dass er nach seiner Brieftasche suchte. Ich sah den kleinen schwarzen Griff im Halfter und dann eine Colt Automatic in Riccis Hand.
    Die Gurke in meiner Hand war frisch und fest, noch nicht richtig reif, elastisch und federnd, beinahe wie ein Gummiknüppel. Ich ließ sie in Richtung von Riccis Gesicht schnalzen. Ricci zuckte kaum. Er versuchte erst gar nicht, der Gurke zu entkommen. Er hoffte offensichtlich, seinen Schuss abzufeuern, bevor ich ihn traf. Der Schlag erwischte ihn voll ins Gesicht, auf die Nase. Er fiel rückwärts über den Stuhl, krachte mitsamt dem Möbel zu Boden, ließ die Pistole fallen und riss die Hände vor das blutbespritzte Gesicht. Ich glaubte, dass ich keine bessere Gelegenheit mehr erhalten würde, und legte ihm Handschellen an, bevor er recht wusste, wie ihm geschah.
    Ich ließ ihn eine Weile stöhnen, bevor ich ihm ein Handtuch von der Bar reichte, das er sich gegen die Nase drücken konnte, dann zerrte ich ihn an den Handschellen hoch. Unter dem Applaus der Gäste schob ich Ricci zu den beiden Uniformierten, die zwischenzeitlich im Eingang aufgetaucht waren, und warf seine Pistole hinterher.
    Frieda packte die Rothaarige am Ellbogen. «Zeit zu gehen, Süße», sagte sie.
    «Nimm deine dreckigen Hände von mir!», keifte die Rothaarige und versuchte sich aus Friedas Griff zu befreien, jedoch ohne Erfolg. Schließlich stellte sie ihre Gegenwehr ein. Sie lachte auf und musterte mich mit einem lasziven Blick. «Das war wirklich eine Leistung, Kamerad, was du da gerade vollbracht hast. Wie ein Weihnachtsgeschenk vom Kaiser persönlich. Warte nur, bis seine Leute das zu hören kriegen! Ricci Kamm von einem Johann verhaftet, der nur mit einer

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