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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Sommer überlebe oder nicht. Beinahe hätte ich es nicht geschafft.» Nebe grinste sein wölfisches Grinsen und schlug das Revers seiner Jacke zurück, sodass ich den charakteristischen Griff einer großen Mauser C96 im Schulterhalfter erkennen konnte. «Ich hab sie vorher aufgehalten, wenn Sie verstehen, was ich meine.» Er tippte sich in einer eindeutigen Geste an die nicht gerade kleine Nase. «Was macht übrigens der Fall Anita Schwarz?»
    «Was interessieren Sie sich dafür, Arthur?»
    «Ich kenne Kurt Daluege ein wenig. Wir waren zusammen in der Armee. Er wird mich sicher fragen, wenn wir uns das nächste Mal begegnen.»
    «Nun ja, offen gestanden denke ich, dass wir Fortschritte machen. Ich bin mehr oder weniger sicher, dass mein Verdächtiger ein Patient in der urologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses in Friedrichshain ist.»
    «Tatsächlich?»
    «Tatsächlich. Sie können Ihrem Kumpel Daluege sagen, dass ich mich nicht um seinetwillen bemühe – ich würde genauso hart an dem Fall arbeiten, wenn ihr Vater kein widerliches Nazi-Schwein wäre.»
    «Das wird ihn sicher freuen, außer das mit dem Nazi-Schwein, meine ich. Unter uns gesagt: Ich verstehe sowieso nicht, warum ein Mädchen wie dieses aufgezogen wird. Ich denke, unsere Gesellschaft sollte dem Beispiel der alten Römer folgen. Sie wissen schon, Romulus und Remus und so. Wir sollten sie auf einem Hügel aussetzen, wo sie friedlich sterben können. Irgendwas in der Art jedenfalls.»
    «Vielleicht. Nur, dass Romulus und Remus nicht auf einem Hügel ausgesetzt wurden, weil sie krank waren, sondern weil ihre Mutter eine Vestalin war, die ihr Keuschheitsgelübde gebrochen hatte.»
    «Ich wüsste nicht mal, wie man das schreibt», sagte Nebe.
    «Davon abgesehen haben Romulus und Remus überlebt. Wussten Sie das nicht? Die beiden haben Rom gegründet.»
    «Ich meine doch bloß im Prinzip, das ist alles. Wir verschwenden Steuergelder für nutzlose Mitglieder der Gesellschaft. Wussten Sie, dass es in diesem Land sechzigtausend Mark mehr kostet, einen Krüppel am Leben zu erhalten, als einen durchschnittlichen gesunden Bürger?»
    «Dann sagen Sie mir mal, Arthur – ist Klumpfuß Joseph Goebbels ein gesunder Bürger?»
    Nebe lächelte. «Sie sind ein guter Polizist, Bernie», sagte er. «Das sagt jeder. Wäre eine Schande, so eine vielversprechende Karriere zu beenden, nur wegen ein paar gedankenloser Bemerkungen wie der, die Sie gerade von sich gegeben haben.»
    «Wer sagt denn, dass diese Bemerkung gedankenlos war?»
    «Na, Sie sind doch kein Roter, Bernie, das weiß ich.»
    «Ich verwende eine Menge Energie darauf, die Nazis zu verabscheuen, Arthur. Gerade Sie sollten das wissen.»
    «Nichtsdestotrotz werden die Nazis die nächste Wahl gewinnen, Bernie. Und was werden Sie dann tun?»
    «Was alle anderen ebenfalls tun, Arthur. Ich gehe nach Hause und stecke den Kopf in den Gasherd, oder ich hoffe, dass ich aus einem sehr, sehr schlimmen Albtraum bald wieder aufwache.»
     
    Es war ein weiterer schöner, ungewöhnlich warmer Abend. Ich warf Heinrich Grund seine Jacke zu. «Los», sagte ich. «Machen wir uns an die Arbeit. Es gibt zu tun.»
    Wir gingen hinunter in den zentralen Innenhof, wo ich meinen Wagen geparkt hatte. Ich drehte den Zündschlüssel, drückte auf den Starterknopf, und der Motor erwachte rumpelnd zum Leben.
    «Wohin fahren wir?», fragte Grund.
    «Oranienburger Straße.»
    «Warum?»
    «Wir suchen nach Verdächtigen, schon vergessen? Das ist das Großartige an dieser Stadt, Heinrich. Du musst nicht erst ins Irrenhaus, um verdrehte, kranke Gehirne zu suchen. Du findest sie überall, wohin du auch siehst. Im Reichstag. In der Wilhelmstraße. Im Preußischen Parlament. Ich wäre nicht im Geringsten überrascht, wenn wir nicht auch ein oder zwei Wahnsinnige in der Oranienburger Straße finden würden. Es macht uns die Arbeit ein ganzes Stück leichter, meinst du nicht?»
    «Wenn du das sagst, Chef. Aber warum ausgerechnet die Oranienburger Straße?»
    «Weil sie bei bestimmten Huren beliebt ist.»
    «Der Kiez.»
    «Genau.»
    Es war Freitagabend, doch daran konnte ich nichts ändern. Auf der Oranienburger Straße herrschte jeden Abend Betrieb. Wagen hielten vor dem Centralen Telegraphen-Büro, das Tag und Nacht geöffnet hatte. Außerdem war bis zum vergangenen Jahr eines der berüchtigteren Varietés von Berlin, das Storchennest, in der Oranienburger Straße gewesen – ein Grund mehr, dass die Straße bei den Nutten der Stadt so

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