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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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Planung. Jetzt
musste er sich sogar beeilen.
    In der Küche wartete auf ihn schon sein Frühstück: schwarzer Kaffee,
Croissants und Obst, das er ignorierte. Daneben ein Zettel: » Bonjour, Max! Sind zum Großmarkt. Melde Dich, Catherine
& J.P. «, darunter ein PS :
»Iss Obst!« In einer anderen, krakeligen und schwer zu entziffernden Schrift
war zu lesen: »Gruß an Frau Kindermann«. J.P. ,
das war ja klar.
    Rosenmair lachte kurz und trocken auf und nahm noch einen Schluck
Kaffee. Er sah auf die Uhr. Wahrscheinlich kamen sie gleich schon zurück. Ihm
war schleierhaft, wie Leute immer so viel trinken und doch so früh aufstehen
konnten. Übung wahrscheinlich. Aber er musste jetzt los.
    Frau Kindermann wartete schon in seinem Vorgarten, als er den
apricotfarbenen Flitzer an den Straßenrand steuerte. Er wusste, sie war
Frühaufsteherin – wie es mit übermäßigem Weinkonsum bei ihr war, wusste er
allerdings nicht. Wahrscheinlich war sie eher für schlabberig-süße Likörchen zu
haben, das hatte sie ja schon angedeutet. Er stieg aus und winkte ihr etwas
müde zu. »Frau Kindermann, Sie sind ja mehr als pünktlich …« Er hoffte, sie
deutete seinen Tonfall richtig, das nicht als Kompliment zu deuten. Doch für
solche Feinheiten war sie offensichtlich nicht zu haben.
    »Der frühe Vogel fängt den Wurm, Herr Richter, das war schon immer
mein Motto.«
    Der frühe Vogel kann mich mal, dachte Rosenmair – den Satz hatte er
zuletzt in Düsseldorf in einem Geschäft gesehen, das solche Sprüche als
Aufkleber, Kühlschrankmagnete und auf Notizblöcken anbot. Vielleicht musste er
da demnächst mal im größeren Stil einkaufen.
    Im Haus sah Frau Kindermann sich in allen Räumen um und redete
unaufhörlich über Gott und die Welt und natürlich Waldniel. Im Schnelldurchgang
bekam Rosenmair gefühlt die Klatschgeschichten des letzten Vierteljahrhunderts
erzählt, von angeblich unehelichen Kindern über angeblich veruntreute Gelder
für die Renovierung öffentlicher Gebäude bis zur angeblichen Brandstiftung, die
sich als »heiße Renovierung« herausgestellt und wochenlang die lokalen Medien
beschäftigt hatte. Sie kam von Hölzchen auf Stöckchen, wie man so schön sagt,
sogar vom Busunglück einer britischen Militärkapelle berichtete sie in ihrem
nicht zu bremsenden Redeschwall, »das war nämlich jetzt gerade erst«.
    Rosenmair stutzte. »Das Busunglück war jetzt erst? Das hab ich ja
gar nicht mitbekommen. Das hat doch bestimmt groß in der Zeitung gestanden,
nicht?«
    »Nein, nein.« Frau Kindermann schüttelte ob so viel
Begriffsstutzigkeit milde den Kopf. Wie schon in den anderen Räumen ließ sie
wie nebenbei den Finger über die Kante des Bücherregals gleiten und sah ihn
dann leicht angewidert an. »Das Jubiläum meinte ich, der Unfall war vor
fünfundzwanzig Jahren.«
    Rosenmair wusste nicht, ob man in diesem Fall wirklich von einem
»Jubiläum« sprechen sollte, aber er sagte nichts. Frau Kindermann erklärte
weiter, es gebe immer noch Angehörige, die auf eine offizielle Entschuldigung
oder auch nur so etwas wie eine kleine Gedenkfeier warteten. Dann schwenkte sie
plötzlich über zu Frau Kolbich, die sie ja schon lange kenne, und wie
schrecklich das jetzt mit ihrem Mann für sie sein musste. »Die ist jeden Tag
von morgens bis abends bei ihrem Mann im Krankenhaus, jetzt auch schon wieder,
die tapfere Frau. Aber sie lässt sich ja auch nicht helfen.«
    Rosenmair ahnte, dass Frau Kindermanns Hilfsangebot bestenfalls symbolisch
gemeint gewesen war, aber wenigstens kam ihm dadurch eine Idee, wie er aus der
Sache rauskommen konnte. Er schnappte sich seine Autoschlüssel und rief Frau
Kindermann, die schon weiter in Richtung Waschküche gegangen war, im Rausgehen
zu, sie solle sich auf jeden Fall als erstes um die Hemden kümmern. Dann war er
weg und hörte folglich auch ihre Antwort nicht mehr. »Hemden? Hemden mach ich
nicht, das hab ich der Frau Kolbich aber gesagt, meine ich …«
    Die schwarz-gelbe Schranke am Parkplatz des Krankenhauses Maria
Hilf in Mönchengladbach stand offen. Rosenmair fuhr direkt darauf zu, ein
Monteur in Overall schraubte gerade an der Verkleidung des Steuerkastens herum
und winkte ihn unwirsch durch. Nun gut, dieser Krankenhausbesuch würde ihn
wenigstens nichts kosten außer Nerven. Er parkte den Wagen und wunderte sich,
wie viele Menschen an einem Werktag hier zu tun hatten. Er ging vorbei an
rauchenden Patienten in Bade- und Morgenmänteln – den Unterschied hatte er noch
nie

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