Das letzte Hemd
andere Arbeiter waren für diese
langwierigen Umbauarbeiten anscheinend von ihrem Chef Deibel an eine andere
Firma ausgeliehen worden, allerdings war es dabei wohl nicht so ganz mit
rechten Dingen zugegangen, wie Rosenmair zwischen den Zeilen heraushören
konnte.
Frau Kolbich kannte nur Bruchstücke. »Mein Mann meinte, für ihn sei
das die letzte Gelegenheit, weiter in seinem Beruf zu arbeiten und gutes Geld
zu verdienen. Schließlich ist er ja auch schon Ende fünfzig, da bekommt man
heute doch keinen Job mehr, auch wenn die Politiker immer das Gegenteil behaupten.
Der Deibel hat einfach nicht mehr genügend Aufträge gehabt, und da hat er
meinen Mann und die anderen Angestellten vor die Entscheidung gestellt,
entweder selbstständig für ihn zu arbeiten und garantiert Aufträge zu bekommen
oder eben entlassen zu werden. Das war schon ein Wagnis, aber was sollten wir
machen?«
Rosenmair konnte das nur allzu gut nachvollziehen. »Das heißt, er
hat als Subunternehmer für diesen Deibel gearbeitet? Und der hat ihn dann an
diesen anderen Unternehmer vermittelt, stimmt’s?«
Frau Kolbich nickte. »Ich hab versucht, mir zu Hause die Unterlagen
anzusehen, aber ich steige da nicht durch. Und ich befürchte, dass er zur Zeit
des Unfalls vielleicht gar nicht richtig krankenversichert war. Da kann ja auch
noch einiges kommen …«
Rosenmair hakte noch einmal nach. »Ihr Mann war also nicht mehr bei
Deibel angestellt, sondern an den anderen Unternehmer ausgeliehen, aber
gewissermaßen als Selbstständiger. Das heißt dann ja, dass keiner der beiden
Unternehmer in irgendeiner Form in die Verantwortung zu nehmen ist, die sind
fein raus.«
Frau Kolbich schniefte nur und putzte sich die Nase. Eine unschöne
Situation, keine Frage, der Frau musste geholfen werden. Auch wenn Rosenmair
sich eingestehen musste, dass er im Hinterkopf immer noch primär seine Hemden
hatte. Dagegen ist doch auch nichts zu sagen, versicherte er sich selbst, dass
auch mir geholfen wird, wenn ich der Frau helfe.
Er verabschiedete sich durchaus herzlich von Frau Kolbich und
versprach, gleich am nächsten Tag wieder ins Krankenhaus zu kommen. Sie sollte
dann die Briefe und Unterlagen der Versicherung mitbringen, damit Rosenmair
sich ein Bild machen konnte.
Als er auf den Parkplatz kam, dachte er im ersten Moment, sein
Wagen sei weg. Doch dann entdeckte er ihn in all seiner apricotfarbenen
Aufdringlichkeit hinter einem Lieferwagen, der so dämlich abgestellt war, dass
er gleich fünf Autos auf einmal zuparkte. Rosenmair betrachtete die Aufschrift
über dem Lkw-Führerhaus und las »Obertrottel«. Erst beim zweiten Hinsehen
erkannte er, dass da wohl der Wunsch Vater des Gedankens gewesen war –
»Globetrotter« stand dort in gewagt rasanten Buchstaben. Bevor aber Rosenmair
auch nur daran denken konnte, wie am schnellsten dafür zu sorgen wäre, dass
dieser Trottel schleunigst abgeschleppt würde, kam der Fahrer des Transporters
angeschlurft und winkte ihm beschwichtigend zu. »Geht gleich los«, meinte er
und zündete sich erst einmal in aller Ruhe eine Zigarette an.
Rosenmair machte eine großzügige Geste. »Nur keine Eile, wir haben
doch alle Zeit, was? Warum sollte man auch Rücksicht auf andere nehmen oder gar
die Runkelrübe einschalten und nachdenken? Dann lieber alle zuparken, klar.«
Der Fahrer sah aus, als wollte er noch etwas sagen, stieg dann aber
ins Führerhaus und fuhr mit quietschenden Reifen los – allerdings musste er
nach fünf Metern umso mehr in die Eisen gehen, weil die Schranke inzwischen
geschlossen war. Der Monteur von vorhin, der die Auseinandersetzung mitbekommen
hatte, blickte mit Unschuldsmiene auf die Schranke, drückte erst den einen und
dann einen anderen Knopf – bis die Schranke sich schließlich langsam hob. Der
Lkw-Fahrer gab wütend Gas, der Monteur schüttelte den Kopf. »Hoffentlich bremst
der vorm Alten Markt, sonst landet er direkt im Münster.«
Zu Hause angekommen wollte Rosenmair sich die weitere Strategie
zurechtlegen, wie Frau Kolbich mit der Versicherung am besten zu helfen war, in
Gedanken entwarf er schon einen scharf formulierten Brief. Dazu brauchte er
aber erst einmal einen vernünftigen Kaffee – das Gebräu im Krankenhaus hätte
eigentlich in eine andere Nahrungsgruppe gehört, aber das hatte ihn kaum
überrascht – und eines von diesen kleinen leckeren Zimtröllchen, die ihn immer
ein bisschen an die legendären Franzbrötchen seines Hamburger Lieblingsbäckers
erinnerten. Ob der wohl noch
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