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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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da war? Wahrscheinlich nicht, auch bei den
Bäckereien gab es immer mehr Verdrängung und Ketten, die Bäcker zu Aufbäckern
reduzierten und pseudolustige Namen wie »Backwerk«, »Back Factory« oder
»McBack« trugen. Selbst in Waldniel hatte eine Discount-Brotkette aus dem
holländischen Maaskantje in einer ehemaligen Videothek ein Geschäft eröffnet,
das sich augenzwinkernd an die allgegenwärtige Finanzkrise anhängte. Unter dem
Namen »Brotbörse« verkaufte man Brot, Brötchen und Kuchen nach fiktiven DAX-,
Nikkei- und Dow Jones-Kursen, es gab »Hedgefondswochen« und
»Börsenschlussangebote« zum Feierabend, und die Kunden konnten zum Beispiel
Wetten darauf abschließen, ob sonntagnachmittags zu einer bestimmten Uhrzeit
noch genügend Pflaumenkuchen vorrätig war. Rosenmair fand das alles sehr
albern, vor allem aber schmeckte ihm die Ware nicht. Am besten fand er noch den
aus Holland mitgebrachten Werbeslogan »Bah, wat lekker!« – und blieb lieber
seinem »Backes«, wie der alteingesessene Bäckermeister hier überall hieß, treu.
    Mit Kaffee und Zimtröllchen ging Rosenmair von der Küche ins
Wohnzimmer. Frau Kindermann hatte kein Chaos hinterlassen, man konnte aber auch
nicht wirklich erkennen, ob sie überhaupt geputzt hatte. Seine Hemden hatte sie
seltsamerweise nicht angerührt. Er sah aus dem Wohnzimmerfenster in den Garten
und überlegte gerade, ob er Frau Kindermann gleich anrufen sollte, da fiel ihm
eine Bewegung auf. Wieder auf der linken Seite hinter den Büschen, wie neulich
schon einmal. Rosenmair trat einen Schritt näher. Er konnte nichts erkennen.
Trotzdem öffnete er die Terrassentür und trat hinaus auf den Rasen. Wieder ein
Rascheln, diesmal hinter ihm. Er drehte sich um – und sah mitten in ein Paar
freundliche Hundeaugen.
    Dem Hund schien zu gefallen, was er sah. Die zottelige
Promenadenmischung sprang schwanzwedelnd um ihn herum, dann gab sie einen
seltsamen Laut von sich, den man nur im weitesten Sinne als Bellen bezeichnen
konnte. Es klang wie eine Mischung aus Zischen und Lispeln. Hätte der Hund
gesprochen, man hätte auf die Idee kommen können, er habe einen Sprachfehler.
Das schien ihn aber überhaupt nicht zu stören, im Gegenteil. Rosenmair konnte
den aufgeregten Besucher kaum beruhigen. Da hörte er eine Stimme vom Nachbargrundstück.
»Erko? Erko, wo bist du denn? Erko, jetzt komm aber her!«
    Rosenmair trat an den Zaun und sah Becker mit einem Fressnapf in der
Hand auf dem Rasen stehen. Er wartete noch einen Moment und beobachtete dessen
vergebliche Bemühungen, den Hund anzulocken. »So kommt der nie.«
    Becker zuckte kurz zusammen, fing sich aber gleich wieder. »Ach,
Herr Rosenmair, Sie sind’s …«
    Rosenmair grinste. »Wer sonst? Ist ja mein Garten.«
    »Ja. Egal. Haben Sie einen Hund …« In diesem Moment entdeckte Becker
Erko neben Rosenmair. » Da steckst du. Ich hab dich
überall gesucht.«
    »Ich war die ganze Zeit hier. Und seit wann duzen wir uns?«
    Becker wischte Rosenmairs Witz mit einer ärgerlichen Handbewegung
zur Seite. »Natürlich meinte ich den Hund, und das wissen Sie auch genau.«
    Rosenmair seufzte. »Ja, ja, man wird ja wohl mal einen kleinen Spaß
machen können. Seit wann haben Sie denn einen Hund, der so gar nicht auf Sie
hört?«
    »Das ist ja gar nicht mein Hund«, erwiderte Becker und rieb sich den
Nacken. »Der gehört einer alten Freundin meiner verstorbenen Frau, die ihre
Tochter in Berlin besuchen wollte, nur ein paar Tage, und so lange sollte ich
halt auf den Hund aufpassen. Aber jetzt ist sie schon überfällig, hat sich
nicht gemeldet, und ich erreiche sie auch nicht.«
    »Sind Sie sicher, dass die den Hund überhaupt wieder abholen
wollte?«
    Becker sah ihn erst empört, dann verblüfft an. »Wie meinen Sie das
denn? Äh, denken Sie etwa … Nein, das kann ich nicht glauben, das würde Frau
Jansen nie tun.«
    »Was Menschen nie tun würden, ist manchmal das absolute Gegenteil
von dem, was sie dann wirklich tun.« Rosenmair sah den Hund an, der sich neben
ihn gesetzt hatte und keinerlei Anstalten machte, Rosenmairs Grundstück zu
verlassen. »Wie haben Sie den eben gerufen, Ferkel?«
    »Quatsch, das wäre ja blödsinnig.« Becker musste lachen. »Nein, er
heißt Erko, nicht wahr, so heißt du?« Bei diesen Worten beugte er sich über den
Zaun in Richtung des Hundes, der gehorsam und erwartungsvoll blickte – auf
Rosenmair.
    »Nein, stimmt, Erko ist natürlich ein viel besserer Name für einen
Hund, nicht wahr, Erko?«

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