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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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nicht alle
irgendwann sterben?
    Dass Strüssendorf Frau und bald auch Kind hinterließ, für die man
sorgen müsste, parteiintern, änderte nichts an der Tatsache, dass über seine
außerehelichen Eskapaden, von denen jeder gewusst hatte, ausgiebig gelästert
wurde, ebenso wie über seine Vorliebe für Drogen. Hinter vorgehaltener Hand
wurde gern einer seiner markigen Anti-Drogen-Sprüche zitiert, verbunden mit
einer Geste, als würde man gerade eine Linie Koks durch die Nase ziehen.
    Philipp Lindner hielt sich mit solchen Sprüchen und Spielchen zurück – nicht weil er dafür keinen Sinn gehabt hätte, sondern weil er stets genau
abwägte, was ihm karrieretechnisch nützen und was ihm schaden könnte. Deshalb
war er zwar für jede gehässige Lästerei zu haben, aber immer nur im kleinen
Kreis und immer so, dass er damit nicht besonders auffiel. Er begann auch nie
damit, sondern hängte sich lieber erst mit rein, wenn das Thema schon auf dem
Tisch war. Er hatte von genügend Parteifreunden gehört, denen die große
Karriere prophezeit worden war, die sich dann aber in einem unbedachten Moment
zu weit aus dem Fenster gelehnt hatten und damit in Ungnade gefallen waren. Da
hielt sich Philipp immer an den Rat seines Vaters, man solle immer überlegen,
wer einem später vielleicht noch einmal nützen konnte – aber auch, von wem man
sich zum richtigen Zeitpunkt trennen müsse. Unbewusst war Philipp klar, dass
das wahrscheinlich Ann-Britt sein würde. Schließlich hatte man als zukünftiger
Außenminister oder – warum nicht? – Bundeskanzler die Verpflichtung, sich gut
zu repräsentieren. Aber nichts überstürzen, die Zeit spielte für ihn. Nur ins
in seinen Augen spießige Waldniel zu ziehen, wurde ihm immer unvorstellbarer.
Da würde er sanft, aber nachdrücklich auf Ann-Britt einwirken müssen.
Düsseldorf wäre eine viel ansehnlichere Zwischenstation auf dem Weg nach
Berlin, seinetwegen auch Bonn. Die einstige Bundeshauptstadt war mittlerweile
auf dem besten Weg, zur teuersten Wohngegend des Landes zu werden, obwohl – oder
gerade weil? – viele Ministerien mit ihren Mitarbeitern die eher
gemütlich-verschlafene Stadt am Rhein verlassen hatten. Es saßen trotzdem immer
noch genügend Ministerien, teils mit Außenstellen, hier, was gern vergessen
wurde, außerdem die Telekom, nicht zu vergessen. »Bonn boomt«, hatte auch sein
Vater immer gesagt, als er sich vor ein paar Jahren auf ein mehr als dubioses
Immobiliengeschäft, den Bau des »World Conference Center Bonn«, kurz WCCB , eingelassen hatte, aus dem er, natürlich, mit
erheblichem Profit herausgekommen war. Den restlichen Beteiligten erging es
nicht so gut, sie landeten entweder in der Insolvenz wie der koreanische
Investor, den die Verantwortlichen bei der Stadt mit einem koreanischen
Großkonzern »verwechselt« hatten, oder wurden Objekt staatsanwaltlicher
Untersuchungen. Die Arbeiten am WCCB ruhten seit
2009.
    Dass Philipp ernsthaft darüber nachdachte, Ann-Britt von ihrem Plan,
nach Waldniel zu ziehen, abzubringen, hätte ihm vermutlich zum ersten Mal die
Sympathien seines Schwiegervaters eingebracht – wenn er sich auch auf einiges
hätte gefasst machen müssen, wenn dieser von den Gründen erfahren hätte.
    Philipp vergrub sich wieder in Parteiarbeit, was bedeutete, dass er
sich für eine »Recherchereise« nach Berlin anmeldete, von Donnerstag bis
Montag. Der Ablaufplan strotzte nur so vor hochtrabend klingenden Programmpunkten
wie »Referat zur wirtschaftspolitischen Bedeutung internationaler Beziehungen
im eingeschränkten EU -Raum« oder »Die politische
Partei in unserer heutigen Gesellschaft – eine Frage der Relevanz?«. Alte Hasen
solcher Unternehmungen wussten, dass man sich diese staubtrockenen Vorträge
meist entweder komplett schenken oder sie spätestens nach der Mittagspause
verlassen konnte. Es empfahl sich, bis zum Mittag zu bleiben, denn die
gereichten Speisen waren in der Regel beachtlich, außer im Bundeskanzleramt,
wie ein Parteiveteran ihm einst verraten hatte.
    Dazu gab es allerlei buntes Programm; für Besichtigungen und auch
für Einkäufe werde Gelegenheit sein, schließlich musste man ja irgendwann auch
mal mit dem einfachen Volk zusammentreffen. Verräterisch war der Hinweis auf
das »Abendprogramm«, das meist nicht näher ausgeführt war, außer am ersten
Abend, an dem man sich hochoffiziell eine Galarevue im Friedrichstadt-Palast
ansehen würde. Dass auch die anderen Abende gern mit leicht bekleideten Damen
in

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