Das letzte Kind
die schwarzen Vögel an, und sein Gesicht war voller Angst und Hass. Einer der beiden Vögel ließ sich auf einen Grabstein herunterfallen, ein schwarzer Fleck, der erst im letzten Moment die Flügel ausbreitete. Er legte den Kopf schräg und beäugte den Sarg, dann sträubte er ölig glänzende Federn und putzte sich. Plötzlich war Freemantle auf den Beinen. Stolpernd und schreiend stürmte er auf den Vogel los. Jack zuckte zusammen und hob den Revolver.
Das Geschrei enthielt Wörter, da war Johnny sicher, aber er verstand sie nicht. Der Vogel flatterte auf einen Baum, und Freemantle setzte sich wieder auf seinen Platz. Er starrte den Vogel noch lange an, schloss dann die Augen und bekreuzigte sich.
Johnny warf einen Blick zu Jack hinüber, der mit bleichem Gesicht den Kopf schüttelte und den Revolver umklammerte wie der grimmige Tod.
Zwei weitere Krähen landeten auf dem Baum, und dann noch drei. Johnny machte sich wieder an die Arbeit; die Minuten zogen sich in die Länge. Wind kam auf. Der Boden war locker, und das Graben war nicht schwer, aber Johnny grub tief. Er achtete nicht auf die Schmerzen in seinen Händen, auf die glänzend abgeplatzte Haut, unter der eine klare, süßlich riechende Flüssigkeit hervorquoll. Er achtete auch nicht auf seinen Rücken, auf das Reißen der Wundnähte und den Schweiß, der ihm in den Augen brannte. Er hatte den ganzen Tag Zeit, um zu bekommen, was er wollte. Also machte er einen Plan und überlegte, wie er es am besten angehen, welche Fragen er dem Riesen stellen würde, wenn dessen Kind in der Erde wäre.
Johnny sah Freemantle an.
Die Schaufel biss sich in den Boden.
Er schaufelte heiße, sandige Erde heraus, während die Gewitterwolken über den von Krähen gesprenkelten Bäumen heraufzogen.
Als Johnny aus dem Loch stieg, hing die Sonne trübe hinter dem vorderen Rand der dunklen Wolken. Baumwipfel peitschten hin und her. Es roch nach Ozon. »Das fängt gleich an«, sagte Jack.
Die Grube war nicht so tief, wie sie hätte sein können, aber sie hatte die richtige Größe und die richtige Form. »Das war's«, sagte Johnny. »Mehr kann ich nicht.«
»Ich hab ein Seil.« Freemantle deutete auf den Sarg.
»Gut.«
Sie rückten den Sarg an den Rand des Grabes. Dann schlangen sie das Seil durch die kleinen Metallgriffe und ließen den Sarg langsam hinab. Er sah kläglich aus in diesem rohen, rauen Loch. Mit einem scharrenden Geräusch kam das Seil herauf, und Freemantle legte es mit geschickten, aber langsamen Händen zusammen. »Den letzten Teil würde ich gern allein erledigen.« Er senkte den Kopf. »In der Scheune ist es trocken, wenn du dich ausruhen willst.« Freemantle schaute zum Himmel, der violett über ihnen lastete. Das Laub war silbrig geworden. »Sie konnte Gewitter nicht ausstehen.« Er wandte sich ab und hob die Schaufel auf. Gelbes Licht flackerte im Bauch der Wolken.
»Es blitzt«, sagte Johnny.
Doch der große Mann hatte keine Eile. Er warf eine Handvoll Erde in das Grab. Blätter raschelten im Wind. »Blitze fallen.« Er warf noch mehr Erde auf den Sarg seiner Tochter. Der Wind wurde stärker. Jack war schon durch das Tor gelaufen, aber Johnny hatte keine Lust, ihm zu folgen. Freemantle starrte reglos auf den Sarg hinunter. »Gott hört sich an wie mein Daddy.«
»Wirklich?«
Freemantle nickte. »Nicht wie die andere Stimme.-
»Die andere Stimme?«
»Wie Schokolade, die in der Sonne weich geworden ist. Klebrig und süß. Aber schwer zu schlucken.« Er schaute zu den Gewitterwolken hinauf. »Ich höre sie, wenn die Krähen kommen.«
Freemantle hob einen Stein auf und warf ihn zu den Krähen auf den unteren Ästen der Eiche. Er verfehlte sie knapp und schwieg dann lange, doch Johnny bedrängte ihn nicht. Der Mann war komplett verrückt. Johnny sah sich nach Jack um, aber der war verschwunden. »Ich hab Angst vor Blitzen«, sagte Freemantle. Er hob das Gesicht in das Gewitter, sah jedoch nicht aus, als ob er Angst hätte, trotz allem, was er sagte. »Gott spricht nicht mehr mit mir.«
Die Trauer war greifbar. Der Verlust.
»Hier. Warten Sie.« Johnny nahm Freemantle die Schaufel ab und ging auf die Eiche zu. Die Krähen krächzten rau und flatterten davon. Mit dem Schaufelblatt ritzte Johnny einen Ring in die Rinde, rings um den Stamm herum. »Das soll vor Blitzen schützen. Aber nur bei Eichen. Bei irgendwelchen anderen Bäumen macht es nichts.«
Der große Mann stand ernst und angespannt da, und sein unversehrtes Auge blickte von der
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