Das letzte Kind
den Wachmann. »Das ist Bruce.«
Hunt starrte Bruce an, bis der zur Seite schaute. Er war ein großer Schwarzer, Mitte vierzig, in einer adretten blauen Uniform mit einem goldenen Wappen auf der Brust und einem dazu passenden Abzeichen auf der einen Schulter. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Seine Waffe war eine halbautomatische Pistole. »Haben Sie einen Waffenberechtigungsschein, Bruce ?«
»Hat er«, sagte Holloway.
»Kann er nicht selbst antworten ?«
»Nein.«
»Er ist ein erwachsener Mann.«
»Nicht, solange er für mich arbeitet.«
Hunt sah Bruce mit hochgezogener Braue an, legte den Kopf schräg und zuckte die Achseln. »Wir ermitteln in einer Strafsache, die möglicherweise in Verbindung mit einem Ihrer Mitarbeiter steht. Wir benötigen die Namen und die Personalakten Ihrer Wachleute, vor allem derjenigen, die in der Mall tätig sind.«
»Was ist das für eine Strafsache?«
»Wir brauchen die Namen.«
Der Anwalt beugte sich über den Schreibtisch. »Ich habe meinem Mandanten geraten, ohne Vorlage eines richterlichen Beschlusses keinerlei Fragen zu beantworten.«
Holloway hob die Hände, um zu zeigen, dass er keine Wahl habe. Hunt sah den Anwalt an. »Ist das Ihr letztes Wort?«
»Ja«, sagte der Anwalt.
»Werden Sie Ihrem Mandanten auch raten, unsere Ermittlungen nicht zu stören?«
»Selbstverständlich.«
»Er darf mit niemandem über unseren Besuch sprechen. Es handelt sich um laufende Ermittlungen.«
Holloway setzte sein professionelles Lächeln auf. »Außerhalb des Gerichts haben wir nichts zu besprechen, Detective Hunt. Weder meine Mitarbeiter noch Ihre Ermittlungen, noch Ihre außergewöhnlich miserablen Entscheidungen. Weder Katherine Merrimon noch ihren gestörten kleinen Mistkerl von Sohn.«
Hunt starrte ihm in die Augen und machte dann auf dem Absatz kehrt.
»Ach, aber eins noch«, sagte Holloway. »Ich nehme an, Sie sollten erfahren, dass Katherine Merrimon sich weigert, mich weiterhin zu empfangen. Sie hat die Türschlösser ausgewechselt. Hysterisch. Das Übliche.«
Hunt kam zum Schreibtisch zurück. »Tatsächlich?«
»Wir haben heute Morgen die Zwangsräumung beantragt. In dreißig Tagen steht sie auf der Straße.«
»Sie wird zurechtkommen«, sagte Hunt. »Wirklich?« Hunts Blickfeld zog sich zusammen, bis er nur noch Holloways geöltes Lächeln sah. Etwas zog an seiner Jacke. Er begriff, dass es Yoakum war. »Kommen Sie, Clyde.«
Yoakum wollte gehen, doch Hunt rührte sich nicht von der Stelle. Er musterte Bruce und dann Holloway. »Sind alle Ihre Wachleute bewaffnet?«
»Ich werde Ihre Fragen nicht beantworten«, sagte Holloway. »Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.« Hunt sah den Wachmann an. »Er wird Ihnen auch nichts sagen.«
Bruce hielt den Mund fest geschlossen und stand mit geradem Rucken da, aber als Holloway ihn nicht mehr anschaute, legte er einen Finger auf den Griff seiner Pistole.
Der Anwalt nickte einmal. »Ich wünsche einen guten Tag, Detectives. Die Rezeptionistin wird Ihnen gern den Parkschein abstempeln.«
Die beiden gingen. Ihre Schritte waren leise auf den Teppichen, laut auf dem Parkettboden. Die Aufzugtür öffnete und schloss sich. »Nettes Büro«, sagte Yoakum. Hunt schwieg; seine Nägel bohrten sich in die Handballen. »Nette Aussicht.«
Die Empfangsdame funkelte sie an, doch sie gingen an ihr vorbei, ohne sie zu beachten. Als sie draußen waren, ragte das Gebäude hoch und dunkel über ihnen auf. Die Luft war elektrizitätsgeladen, und die gleiche rohe Energie lag auch in Hunts Stimme.
»Sie haben's gesehen ?«
»Ja.«
»Seine Wachleute sind bewaffnet.«
»Nicht alle.«
»Aber einer.«
»Yep.«
»Einer hat eine Waffe.«
Sie gingen zum Wagen. Ihre Hosenbeine flatterten im Wind. Eine Uniform, ein Abzeichen, eine Pistole. Ein dreizehnjähriger Junge konnte so einen Mann für einen Cop halten.
Leicht.
Sehr leicht sogar.
Als sie am Wagen waren, legte Yoakum die Hände auf das Dach. Hunt stand auf der anderen Seite. Die Straße hinter ihm war leer. »Ich muss Ihnen was sagen«, begann Yoakum. »Und regen Sie sich bloß nicht gleich wieder auf.«
»Was?«
»Wir müssen seine Personalakten nicht sehen.«
»Sie könnten uns helfen.«
»Aber wir müssen sie nicht sehen.«
Hunt zuckte die Achseln. »Ich wollte ihn sehen. Er soll wissen, dass ich mich umsehe.«
»Das ist nicht Grund genug.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht.«
»Warum mussten wir dann überhaupt herkommen? Warum mussten wir Holloway behelligen, wenn
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