Das letzte Kind
Chassis, Spinnersterne auf den Felgen und Gangsterfarben am Rückspiegel. Augen ohne Vertrauen starrten aus einem wachsamen Gesicht, und Bässe stampften aus den Lautsprechern, aber Hunt blendete dieses Bild aus. Er war mit seinen Gedanken in der Vergangenheit gewesen.
Kleinpächter. Nasse Kleider.
Die rosarote Zunge eines Straßenköters im Schatten ...
Er ließ die vergangene Minute noch einmal im Geiste vorüberziehen.
Und dann dämmerte ihm etwas.
Er griff zum Handy und wollte Yoakum anrufen, bevor ihm einfiel, dass Yoakum auf dem Rücksitz eines Wagens der State Police saß und auf halbem Wege nach Raleigh war. Er wählte Katherine Merrimons Nummer. Als sie sich meldete, klang sie hoffnungsvoll, aber müde. »Ich wollte wissen, ob Sie zu Hause sind«, sagte Hunt.
Sie wurde lebhaft. »Johnny?«
»Noch nichts. Ich komme zu Ihnen.«
Er brauchte dreiundzwanzig Minuten, um durch den Verkehr zu kommen. Sie trug verwaschene, kurz abgeschnittene Jeans, Sandalen und ein zerknittertes Hemd, das von ihren Schulterknochen herabhing. »Sie sehen müde aus«, sagte Hunt, was der Wahrheit entsprach. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und sie war noch blasser als sonst.
»Ken war heute Morgen um drei Uhr hier. Ich konnte nicht wieder einschlafen.«
»Hier? Er ist hergekommen?«
»Ich hab ihn nicht hereingelassen. Er hat an die Tür gehämmert und ein paar hässliche Sachen gesagt. Er war betrunken. Er wollte nur bellen.«
Stille Wut trat in Hunts Blick. Misshandelte Frauen, die sich selbst belogen, hatte er schon öfter gesehen. »Wagen Sie es ja nicht, sich Entschuldigungen für ihn auszudenken.«
»Mit Ken werde ich fertig.«
Er zwang sich zur Ruhe. Sie ging in die Defensive, und es gab bessere Methoden, dieses Problem zu lösen. »Ich muss mir Johnnys Zimmer ansehen.«
»Okay.« Sie führte ihn durch den halbdunklen Korridor. Hunt knipste das Licht an und warf einen Blick auf Johnnys Bett. Als er dort nicht sah, was er suchte, ging er zu der Bücherreihe auf der Kommode und überflog die Buchrücken. »Es ist nicht da.«
»Was?«
»Johnny hatte ein Geschichtsbuch über Raven County. Ungefähr so.« Mit den Händen zeigte er das Format des Buches. »Vor ein paar Tagen lag es auf seinem Bett. Wissen Sie etwas darüber?«
»Nein, nichts. Ist es wichtig?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht.« Er wandte sich zur Tür.
»Sie wollen wieder gehen?«
»Ich melde mich.«
An der Tür legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Hören Sie. Wegen Ken. Danke, dass Sie mich beschützen wollen. Wenn er aggressiv wird oder mich bedroht, rufe ich Sie an. Okay?« Sie drückte seinen Arm leicht. »Ich rufe Sie an.«
»Tun Sie das«, sagte er, aber das Getriebe in seinem Kopf hatte sich schon in Gang gesetzt. Sie blieb in der offenen Tür stehen, als er davonging, und stand dort, bis sein Wagen auf der Straße war. Er sah ihr Haus noch im Rückspiegel, als er Officer Taylor am Telefon hatte. »Ich bin bei Katherine Merrimons Haus«, sagte er.
»Wieso überrascht mich das nicht?«
»Sie müssen mir einen Gefallen tun.«
»Ihnen geht die Rückendeckung aus.«
»Es geht um Ken Holloway. Versuchen Sie's in seinem Büro. Oder bei ihm zu Hause. Ich möchte, dass Sie ihn finden und festnehmen.«
Sie schwieg. Hunt wusste, dass sie an das letzte Mal dachte, an die Klage, die Holloway eingereicht hatte, und wie ungern sie ihren Namen auf dem nächsten Schriftsatz sehen würde, der bei Gericht eingereicht wurde. »Mit welcher Begründung?«
»Behinderung polizeilicher Ermittlungen. Er hat Meechum den Tipp gegeben, dass wir zu ihm unterwegs waren, um ihn zu befragen. Ich erledige den Papierkram heute Nachmittag, aber ich will, dass Holloway sofort hinter Schloss und Riegel kommt. Wenn es Ärger gibt, nehme ich den auf meine Kappe. Aber ich will, dass dieser Mistkerl eingesperrt wird.«
»Ist das eine rechtmäßige Festnahme?«
»Vor einer Woche hätten Sie mir diese Frage nicht gestellt.«
»Vor einer Woche hätte ich es auch nicht für nötig gehalten.«
»Tun Sie's einfach.«
Hunt beendete das Gespräch, rief die Auskunft an und fragte nach der Nummer der Öffentlichen Bibliothek von Raven County. Die Auskunft verband ihn sofort. »Buchausgabe.« Es war eine Männerstimme. Hunt sagte, was er wollte, und hörte das Klappern einer Computertastatur. »Das Buch ist ausgeliehen.«
»Das weiß ich. Haben Sie noch ein Exemplar?«
»Muss ich nachsehen. Ja, wir haben noch ein Exemplar.«
»Halten Sie es für mich zurück«, sagte
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