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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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seinem Hals. Es drehte sich, als er den Rucksack öffnete, und blitzte in der Sonne. »Ich musste nach Hause, Proviant holen. Dad war noch da.«
    »Aber er hat dich nicht gesehen, oder?« Jacks Vater war ein ernst zu nehmender, hammerharter Cop, und Johnny mied ihn wie die Pest.
    »Sehe ich aus wie ein Idiot?« Jacks gute Hand verschwand im Rucksack. »Noch kalt«, sagte er und holte eine Dose Bier heraus. Er gab sie Johnny und zog dann noch eine aus dem Rucksack.
    »Bier klauen.« Johnny schüttelte den Kopf. »Du wirst in der Hölle schmoren.« Jack ließ sein hartes Lächeln aufblitzen. »Kleine Sünden verzeiht der Herr.«
    »Deine Mom sagt was anderes.«
    »Meine Mom wird in ihrer Kirche demnächst Füße waschen und mit Klapperschlangen hantieren, Mann. Das weißt du doch. Sie betet für meine Seele, als könnte ich jeden Augenblick in Flammen aufgehen. Das macht sie zu Hause. Das macht sie in der Öffentlichkeit.«
    »Hör auf.«
    »Als ich neulich beim Pfuschen erwischt wurde? Weißt du noch?« Das war drei Monate her. Johnny erinnerte sich. »Ja. In Geschichte.«
    »Da mussten wir zum Direktor. Und bevor das Gespräch vorbei war, hatte sie ihn so weit, dass er auf den Knien lag und zu Gott betete, er möge mir den rechten Weg zeigen.«
    »Blödsinn.«
    »Ohne Scheiß. Er hatte solche Angst vor ihr. Du hättest sein Gesicht sehen sollen. Total verkniffen, und mit einem Auge hat er gelinst, ob sie ihn anschaute, während er es tat.« Jack riss die Bierdose auf und zuckte die Achseln. »Aber ich kann's ihm nicht verdenken. Sie ist echt übergeschnappt, und sie gibt sich große Mühe, mich mit runterzuziehen. Letzte Woche hat sie den Prediger kommen lassen, damit er für mich betet.«
    »Warum?«
    »Für den Fall, dass ich an mir rumspiele.«
    »Nicht zu fassen.«
    »Das Leben ist eine Komödie«, sagte Jack, aber von seinem Lächeln war nichts mehr übrig. Seine Mutter war beängstigend religiös — eine Wiedergeborene Christin, die keine Gefangenen machte. Sie saß Jack ständig im Nacken und drohte ihm mit Höllenfeuer und ewiger Verdammnis. Jack spielte es herunter, aber man sah, dass es ihn mürbe machte.
    Johnny machte sein Bier auf. »Weiß sie, dass dein Dad noch trinkt?«
    »Sie sagt, der Herr missbilligt es, also hat Dad einen Bierkühlschrank in die Garage gestellt. Auch für seinen Schnaps. Anscheinend ist es damit erledigt.«
    Jack trank gluckernd. Johnny nahm einen kleinen Schluck. »Das ist ein beschissenes Bier, Jack.«
    »In der Not darf man nicht wählerisch sein, Mann. Zwing mich nicht, dich noch mal zu schlagen.« Jack kippte den Rest seines Biers hinunter, stopfte die leere Dose in den Rucksack und holte eine neue heraus.
    »Hast du deinen Geschichtsaufsatz geschrieben?«
    »Was hab ich gerade über kleine Sünden gesagt?«
    Johnny ließ den Blick suchend über die Gegend hinter Jack wandern. »Wo ist dein Rad?«
    »Keine Ahnung.«
    »Was soll das heißen, keine Ahnung?«
    »Ich hatte keine Lust, damit zu fahren.«
    »Das ist ein Sechshundert-Dollar-Trek.«
    Jack schaute weg und zuckte die Achseln. »Ich vermisse das alte. Das ist alles.«
    »Immer noch keine Spur?«
    »Geklaut, nehme ich an. Auf Nimmerwiedersehen.« Die Macht der Gefühle, dachte Johnny. Jacks altes Fahrrad war ein pissgelber Drahtesel mit Dreigangschaltung und Bananensattel gewesen. Sein Dad hatte es gebraucht gekauft, und es war sicher fünfzehn Jahre alt gewesen. Es war schon lange weg. »Bist du auf den Zug gesprungen?«
    Johnnys Blick wanderte zu dem verkrüppelten Arm. Jack war mit vier Jahren von der Ladefläche eines Pick-ups gefallen und hatte sich den Arm gebrochen, und dabei hatte sich herausgestellt, dass der Knochen hohl war. Man hatte ihn operiert und den Hohlraum mit Rinderknochengewebe gefüllt, aber der Chirurg musste ziemlich schlecht gewesen sein, denn danach war der Arm kaum noch gewachsen. Die Finger taugten nicht viel, und der ganze Arm hatte wenig Kraft. Johnny zog ihn damit auf, und gerade dadurch war die Sache kein Thema zwischen ihnen. Aber das war nur Fassade. Wenn es darauf ankam, war Jack empfindlich. Und er sah den Blick.
    »Glaubst du, ich kann nicht auf einen Zug springen?« Er war wütend.
    »Ich dachte nur an diesen Jungen, weißt du.«
    Sie kannten die Geschichte beide. Ein Vierzehnjähriger von einer der County-Schulen hatte versucht, auf den Zug zu springen, und den Halt verloren. Er war unter die Räder gekommen und hatte beide Beine verloren, das eine am Oberschenkel, das andere unter

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