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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Strich zum nächsten sprang. Er zählte die Sekunden, bis das Kopfbrett des Bettes im Zimmer gegenüber an-fing, mit unheiligen dumpfen Stößen gegen die Wand zu schlagen. Dann machte er sich auf die Suche nach dem Schlüsselbund seiner Mutter.
    Vierundneunzig, dachte er und schloss die Haustür hinter sich ab.
    Vierundneunzig Sekunden.
    Er watete durch den Schlamm, setzte sich in den Wagen seiner Mutter und startete den Motor. Am Ende der Einfahrt öffnete er die Tür, lehnte sich hinaus und hob einen tennisballgroßen Stein auf.
    Das Haus blieb hinter ihm zurück. Johnny fuhr vorsichtig. Die Frontscheibe war beschlagen, und nur ein Scheinwerfer funktionierte. Er sah nassen Asphalt und eine Andeutung des Straßengrabens. Er wischte mit der Hand über die Scheibe und hielt Ausschau nach der Abzweigung, die ihn auf die reiche Seite der Stadt bringen würde.
    Als er in Kens Straße einbog, fuhr er langsamer. Weitab von der Straße ragten die Häuser schemenhaft auf riesigen Rasenflächen auf. Lange Wege schlängelten sich durch samtenes Gras, und die Einfahrten waren mit Gittertoren verschlossen. Das Eisen war so schwarz, dass es kalt aussah. Als die Reifen am Randstein knirschten, schaltete Johnny den Scheinwerfer aus. Den Motor ließ er laufen. Es würde nur eine Sekunde dauern.
    Der Stein fühlte sich gut an in seiner Hand.

NEUN
    D etective Hunt fuhr schnell über nasse, schmale Straßen. Der Tatort lag drei Meilen hinter ihm, der Rechtsmediziner transportierte den Toten ab, und Hunts Leute waren noch am Tatort beschäftigt. Vieles hatte sich geändert, nachdem Cross ihm die Karte gezeigt hatte. Einzelne Mosaiksteine in seinem Kopf hatten sich verschoben, neue Möglichkeiten und Variablen waren dazugekommen. David Wilson, glaubte Hunt, war ermordet worden, weil er irgendwie auf Tiffany Shore gestoßen war.
    Ich hab sie gefunden, hatte er dem Jungen gesagt, und jetzt war er tot.
    Doch wo hatte er sie gefunden? Und wie? Unter welchen Umständen? Und vor allem: Wer hatte ihn umgebracht? Hunt hatte sich auf den Wagen konzentriert, der Wilson von der Brücke gestoßen hatte. Das war logisch, aber die Flussbiegung beeinflusste diese Logik. Hunt hatte angenommen, dass zum Zeitpunkt der Tat drei Männer auf der Brücke oder in ihrer Nähe gewesen waren: Wilson, der jetzt tot war, der Fahrer des Wagens, der ihn getötet hatte, und irgendein Schwarzer zwei Meilen weiter flussabwärts. Doch jetzt musste er diese Annahme in Frage stellen. Vielleicht war Johnnys schwarzer Riese nicht einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Vielleicht hatte er den Wagen gefahren, mit dem David Wilson umgebracht worden war. Vielleicht auch nicht.
    Zwei Männer oder drei?
    Verdammt!
    Hunt musste mit Johnny sprechen — nicht irgendwann, sondern sofort, in diesem Augenblick. Er hatte neue Fragen. Er rief die Zentrale und ließ sich mit dem Streifenwagen verbinden, den er beauftragt hatte, Johnny und Katherine nach Hause zu bringen. Er sah auf die Uhr und fluchte, während die Verbindung hergestellt wurde. Fast zehn Stunden — so lange war Tiffany jetzt verschwunden, und die Statistik äußerte sich so kalt und exakt, wie nur Zahlen sich äußern konnten. Wenige Entführungsopfer überlebten den ersten Tag. So war es einfach.
    Tempo.
    Letzten Endes war alles eine Frage des Tempos.
    Ich hab sie gefunden.
    Hunt musste Johnny über den Mann mit dem Narbengesicht befragen, über das, was er auf der Brücke gesehen hatte. Hunt musste wissen, ob die zwei Männer in Wirklichkeit nur einer gewesen waren.
    Die Zentrale meldete sich. »Ich verbinde jetzt.« Eine zweite Stimme kam knisternd aus dem Funkgerät. Hunt nannte seinen Namen und fragte nach Johnnys Verbleib. »Ich bin eben von seinem Haus weggefahren. Da stand er in der Einfahrt.«
    »Wie lange ist das her?«
    Eine kurze Pause. »Zwanzig Minuten.«
    »Zwanzig Minuten. Okay.« Hunt trennte die Verbindung. In weiteren fünf Minuten könnte er dort sein. Los, los, komm schon. Er gab Gas, bis der Wagen unter ihm leicht wurde, und raste in gefährlichem Tempo über die glatte, schwarze Straße.
    Mehr als drei Stunden seit dem Absturz des Motorradfahrers. Wer immer David Wilson angefahren hatte, konnte inzwischen über alle Berge sein, er konnte das County verlassen haben, den Staat — aber das glaubte Hunt nicht. Es war riskant, mit einem entführten Kind weite Strecken zurückzulegen. Wenn die Fahndung nach dem Kind über die Massenmedien lief, wurde die Öffentlichkeit äußerst wachsam.

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