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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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nicht gleich in die Defensive.«
    »Tu ich nicht.«
    Sie lächelte, und ihre Augen funkelten. »Blödsinn. Sehen Sie sich doch an. Weiße Lippen, dicke Halsadern. Sie sehen aus, als hätte ich etwas über Ihre Mutter gesagt. Oder über Ihre Frau.« Hunt senkte die Stimme und zwang sich zur Ruhe. »Inwiefern im Eimer?«
    Taylor zuckte ohne Mitgefühl die Achseln und deutete mit dem Kopf ins Haus. »Sie ist mal an der Schule aufgekreuzt, um ihre Tochter abzuholen. Das war vier Monate nach der Entführung. Als man ihr sagte, Alyssa sei nicht da, wollte sie nicht wieder weggehen. Bestand darauf, sie zu sehen. Fing an zu schreien, als man es ihr erklären wollte. Die Sache geriet so sehr außer Kontrolle, dass der für die Schule zuständige Kollege sie vom Gelände bringen musste. Danach saß sie drei Stunden weinend in ihrem Wagen. Und Sie kennen Officer Daniels?«
    »Den Neuen?«
    »Er wurde vor ungefähr sechs Wochen wegen eines Einbruchs gerufen und fand sie schlafend in ihrem alten Haus. Zusammengerollt auf dem Sofa. In Embryonalstellung, sagte er.« Taylors Blick wanderte über das verwahrloste Haus. »Insofern im Eimer.«
    Hunt wartete eine ganze Weile mit seiner Antwort und bemühte sich dann, Taylors Verständnis zu wecken. »Haben Sie Kinder, Laura?«
    »Sie wissen, dass ich keine habe.« Sie zeigte ihre kleinen Zähne. »Kinder passen nicht zum Job.«
    »Dann vertrauen Sie mir einfach. Sie hat eine Chance verdient.« Taylor sah ihm fest in die Augen, und er wusste, dass sie nachdachte. Sie war Streifenpolizistin, kein Babysitter, und Hunts Bitte kam weder auf dem Dienstweg, noch hatte sie etwas mit dem üblichen Verfahren zu tun. »Jemand muss bei ihr sein, falls ihr Sohn zurückkommt. Das ist legitim.«
    »Und alles andere?«
    »Sorgen Sie nur dafür, dass sie nicht draußen umherirrt oder noch mehr Tabletten nimmt.«
    »Sie hängen Ihren Arsch weit aus dem Fenster, Hunt, und Sie verlangen von mir, dass ich mein wunderbares, wohlgeformtes Hinterteil ebenfalls entblöße.«
    »Das weiß ich.«
    »Wenn sie so mies drauf ist — Alkohol, Tabletten und was weiß ich —, dann gehört der Junge in den Behördengewahrsam. Falls ihm etwas passiert, weil Sie sich geweigert haben, etwas zu unternehmen —«
    »Das ist mein Risiko.«
    Sie schaute in den Regen hinaus, und jetzt war ihr die Besorgnis anzusehen. »Die Leute reden. Über Sie und die Frau.«
    »Das Gerede ist unbegründet.« Ihr Blick wurde hart. »Wirklich?«
    »Sie ist ein Opfer«, sagte Hunt eisig. »Und sie ist verheiratet. Mein Interesse ist ausschließlich professionell.«
    »Ich glaube, Sie lügen«, sagte Taylor.
    »Vielleicht«, antwortete er. »Aber nicht vor Ihnen.«
    Taylor trommelte mit den Fingern auf dem glatten Vinyl des Gürtels, an dem ihre Waffe, ihre Handschellen und die chemische Keule hingen. »Das ist tiefgründig, Hunt. Das ist schon beinahe weiblich.« Es klang nicht unfreundlich.
    »Werden Sie mir helfen?«
    »Ich bin Ihre Freundin. Ziehen Sie mich nicht in schmuddelige Angelegenheiten hinein.«
    »Sie ist eine gute Frau, und ich habe ihr Kind verloren. Das ist alles.« Der Augenblick dehnte sich in die Länge. »Johnny Merrimon«, sagte Hunt schließlich. »Würden Sie ihn erkennen, wenn Sie ihn sehen?«
    »Wenn hier ein Junge auftaucht, werde ich annehmen, dass er es ist.«
    Hunt nickte. »Ich bin Ihnen was schuldig.«
    Er wollte sich abwenden, aber sie hielt ihn fest. »Sie muss was Besonderes sein.« Hunt zögerte, sah jedoch keinen Grund zum Lügen. »Das sind sie beide«, sagte er. »Sie und ihr Sohn.«
    »Nichts gegen diese Leute — aber warum?«
    Hunt dachte an den Jungen, der verstand, wie verletzlich seine Mutter war, und der tat, was er konnte, um sie zu beschützen, wenn niemand sonst es tat. Hunt dachte daran, wie Johnny morgens um sechs Uhr im Supermarkt einkaufte und wie er einen Stein durch Ken Holloways Fenster warf — nicht einmal, sondern fünfmal —, nur um ihn von seiner Mutter wegzubringen. »Ich hab sie oft in der Stadt gesehen, bevor das alles passierte. Sie waren immer zusammen, alle vier. In der Kirche. Im Park. Bei den Konzerten auf dem Rasen. Sie waren eine schöne Familie.« Er zuckte die Achseln, und beide wussten, dass etwas unausgesprochen geblieben war. »Ich mag keine Tragödien.«
    Officer Taylor lachte ohne Heiterkeit.
    »Was ist?«, fragte Hunt.
    »Sie sind Polizist«, sagte sie. »Alles ist eine Tragödie.«
    »Vielleicht.«
    »Ja, schön.« Sie klang nicht überzeugt.

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