Das letzte Kind
Pappelholzknüppel erschlagen und ihr den Kopf mit dem Messer abgeschnitten, das sein Vater ihm zu seinem zehnten Geburtstag geschenkt hatte.
An einem zweiten Lederriemen hingen fünf Adlerfedern. Sie waren doppelt so groß wie die an seinem Fahrrad: drei goldbraune Flügelfedern und zwei makellos weiße. Die harten, spitzen Kiele waren so dick wie sein Zeigefinger. Sie rochen noch nach dem Vogel, und drei waren an den Rändern mit getrocknetem Blut beschmiert: Adlerblut und sein Blut.
Er schloss die Augen und streifte sich die Riemen über den Kopf. Die Federn raschelten, und die Rasseln klapperten auf seiner Haut.
Dann nahm er die Bibel heraus.
Sie war schwarz und zerfleddert. Johnnys Name war in glänzendem Gold in den Deckel geprägt. Sie war ein Geschenk aus seiner Kindheit; ein Baptistenpfarrer hatte sie ihm in einer seidenbezogenen Schatulle überreicht und gesagt, die Worte darin seien ein Geschenk Gottes.
Ein Geschenk, junger Mann.
Sprich mir nach.
Derselbe Prediger war gekommen, nachdem Alyssa verschwunden war. Seine Stimme bebte nicht, als er Johnny versicherte, jawohl, Gott liebe seine Kinder immer noch, und Johnny brauche nur zu beten. Bete inbrünstig genug, und Gott wird sie nach Hause zurückbringen. Johnny hatte es getan. Er hatte mit aller Kraft und aus tiefster Seele gebetet. Er hatte Gott sein Leben versprochen, wenn er sie zurückbrächte.
Hatte geschworen.
Hatte alles versprochen.
Johnny erinnerte sich an nächtelange Gebete und an die heißen Fingerspitzen seiner Mutter an seinem Arm. Er erinnerte sich an ihre Stimme, an die Reste ihrer Kraft, die er nie wieder sehen würde.
Bete mit mir, Johnny.
Dieser verzweifelte, hungrige Glaube.
Bete für deine Schwester.
Als der Prediger das nächste Mal kam — mit polierten Fingernägeln und fettem, glänzendem Gesicht —, hatte er gesagt, Johnny bete nicht inbrünstig genug. »Mach es besser«, hatte er gesagt.
»Du musst fester glauben.«
Johnny schob die Füße über den feuchten Boden und rutschte näher ans Feuer. Er riss den Einbanddeckel von der Bibel ab, und der Feuerschein blitzte golden auf den Lettern seines Namens. Abergläubische Angst flackerte in ihm auf, aber dann legte er den Deckel ins Feuer und sah zu, wie er verbrannte. Er sah zu, bis der Deckel zu Asche zerfiel, dann hob er den Rucksack mit einer Hand hoch und schüttelte den Inhalt auf den Boden. Trockenes Laub rieselte heraus, kleine Knäuel aus Zweigen und Reisig.
Zeder und Kiefer, Fichte und Lorbeer.
Die Figur eines Kindes, aus Birkenrinde geschnitzt.
Ein rotes Band, das Alyssa gehört hatte.
Er schlang sich das Band um das Handgelenk, und sein Blick wanderte von dem trockenen Reisig zu der Bibel. Er wog sie kurz in der Hand und legte sie dann auf den Boden. Die Seiten hoben sich im heißen Luftzug des Feuers, als wüssten sie, dass auch sie gleich brennen würden.
Der Anblick erfüllte Johnny mit grimmiger Genugtuung.
Er brauchte ältere Götter.
Das Bedürfnis danach hatte vor Monaten begonnen, und es hatte mit einem Gebet begonnen. Es war im Winter gewesen; die Heizung war kaputt, und die Kälte im Haus verbrannte seine Worte zu Rauch, als er um die Heimkehr seiner Schwester betete. Er wachte um vier Uhr morgens auf, die Kälte lag wie stählerne Klingen auf seinem nackten Rücken, und er betete für seine Mom. Er betete darum, dass sie mit den Tabletten aufhören und dass sein Vater zu ihr zurückkommen möge. Und er betete um einen langsamen, schmerzhaften Tod für Ken Holloway. Das hielt ihn aufrecht: die Gedanken an Erlösung und Vergangenheit und das innige, heiße Flehen um Rache.
Eine Stunde später, als die Sonne sich über den fernen Horizont heraufstreckte, prügelte Ken aus Gründen, die Johnny nie verstanden hatte, Johnnys Mutter blutig. Johnny versuchte ihn daran zu hindern, und deshalb kam er als Nächster an die Reihe. Und damit fing es an: mit Hilflosigkeit und Blut, mit einem vergeblichen Gebet und einem goldgeprägten Buch, das Sanftmut und Unterwerfung predigte.
Nichts davon gab Johnny Kraft.
Nichts davon gab ihm Macht.
Er legte Zedernholz aufs Feuer, dann Kiefer, Fichte und Lorbeer, stellte sich dicht vor die Flammen und ließ den Rauch über sich hinwegrollen. Seine Augen tränten, und seine Lunge brannte, aber er atmete den Rauch trotzdem ein und blies ihn wieder aus, erst zum Himmel und zur Erde, dann zu den vier unsichtbaren Horizonten. Mit gewölbten Händen fasste er in den Rauch und fächelte ihn in sein Gesicht. Er
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