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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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dem Fenster, ein flaches Weiß unter der Tür. Er sah sich nach seiner Mutter um, und die Wände krümmten sich. Als er endlich aufrecht saß, sah er Rußränder unter seinen Nägeln, Spuren von Beerensaft und Blut an seinen Fingern. Seine Federn waren weg, doch das war nicht mehr so wichtig. Er schloss die Augen und spürte Jars Klauengriff an seinen Fußknöcheln. Er roch das Leder der Autositze und spürte die langen, kalten Linien, als Jar ihm die Kehle zudrückte und ihn mit Johnnys eigenem Messer zerschnitt.
    Johnny schob die Hände unter die Bettdecke, fühlte aber trotzdem das warme, schwammige Loch in Jars Hinterkopf. Er hörte ein Geräusch, erst hart, dann nass, und dann fiel ihm ein, dass Jar tot war. Johnny drehte sich auf die Seite und schloss die Augen vor dem Licht.
    Die Tür öffnete sich so leise, dass Johnny es kaum hörte. Er spürte einen Luftzug, und jemand war an seinem Bett. Er öffnete die Augen und sah Detective Hunt. Der Cop sah angespannt aus, sein Lächeln wirkte gezwungen. »Ich darf gar nicht hier sein«, sagte er und deutete auf den Stuhl. »Was dagegen?«
    Johnny streckte sich auf dem Kissen. Er wollte etwas sagen, aber die Welt war in Watte gewickelt.
    »Wie geht's dir?«, fragte Hunt.
    Johnnys Blick fiel auf den Griff der Pistole, der unter dem Jackett des Polizisten herausragte. »Ganz okay.« Die Worte klangen gepresst, langsam und falsch.
    Hunt setzte sich. »Können wir uns unterhalten?« Johnny antwortete nicht, und Detective Hunt beugte sich vor. Er legte die Fingerspitzen zusammen und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Sein Jackett klaffte auseinander, und Johnny sah das abgenutzte Halfter und den schwarzen Lack auf dem Stahl. »Ich muss wissen, was passiert ist.«
    Johnny antwortete nicht. Er war gebannt.
    »Kannst du mich ansehen, Junge?«
    Johnny nickte, doch seine Augen waren so schwer, dass er sie nicht heben konnte. »Johnny?« Johnny starrte die Pistole an. Den schraffierten Griff. Den weißen Sicherungshebel.
    Seine Hand bewegte sich ganz von allein, streckte sich nach der Waffe, und der Cop verschwamm vor seinen Augen. Er wollte die Pistole nur halten, wollte sehen, ob sie so schwer war, wie sie aussah, aber sie wich vor ihm zurück in einen Ring aus weichem Licht. Ein Gewicht legte sich auf seine Brust. Es drückte ihn auf die Matratze, und von ferne hörte er die Stimme des Polizisten.
    »Johnny. Bleib bei mir, Johnny.«
    Dann fiel er, und jemand stieß schwarze Dornen in seine Augen.
    Katherine bügelte ihre Kleider und zog sich an. Sie hatte Mühe, die Finger ruhig zu halten, und die Knöpfe fühlten sich winzig an. Sie trocknete sich das Haar, kämmte die Knoten heraus und dachte über ein Make-up nach. Am Ende sah sie aus wie eine normale Frau, die über die Knochen einer Schwerkranken gestülpt war. Als sie ein Taxi rief, musste sie angestrengt überlegen, bis ihr die Hausnummer einfiel, dann setzte sie sich auf die Sofakante und wartete.
    Die Uhr tickte in der Küche.
    Sie hielt den Rücken gerade.
    Das Schwitzen begann zwischen ihren Schulterblättern. Der Geschmack von Alkohol füllte ihren Mund, und sie hörte das betörende Wiegenlied eines weiteren Tages im Nebel des Vergessens.
    Er wäre leicht.
    So unglaublich leicht.
    Der Entschluss zum Beten schob sich verstohlen über sie wie ein Schatten. Es war, als habe sie einen Lidschlag getan, und als sie die Augen wieder öffnete, war die Abwesenheit des Lichts so spürbar, dass sie aufblickte. Die Versuchung stieg aus den Tiefen ihrer Seele herauf, eine ehemals glühende Hitze, die jetzt zu etwas Schwarzem, Kaltem zusammengepresst war. Sie wehrte sich gegen diese Versuchung, doch sie verlor den Kampf, und als sie niederkniete, fühlte sie sich wie eine Lügnerin, wie eine Simulantin, wie eine Reisende, verirrt im unablässigen Regen der Nacht.
    Anfangs wollten die Worte nicht kommen. Es war, als habe Gott selbst ihre Kehle verschlossen. Aber sie senkte den Kopf und versuchte sich daran zu erinnern, wie es war. Die Nacktheit. Das Vertrauen. Die Demut, die das Flehen möglich machte. Und dann tat sie es. Sie bat um Kraft und darum, dass ihr Sohn wieder gesund wurde. Sie flehte Gott um Hilfe an, stumm und inbrünstig. Sie bat ihn, behalten zu dürfen, was sie hatte: ihren Sohn und ihr gemeinsames Leben. Als sie aufstand, hörte sie das Knirschen von Reifen im Kies, und es klang wie Regen. Und dann brach das Geräusch ab.
    Ken Holloway stand in der Tür.
    Sein Anzug war zerknittert, und die dunkelviolette

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