Das letzte Kind
über diesen unbekannten Pädophilen reden. Der gerissen ist. Und vorsichtig. Der Umgang hatte mit dem Mann, der meinen Sohn beinahe umgebracht hätte...«
Hunt legte den Kopf schräg, und sie deutete mit dem Finger auf einen Tintenkrakel, den nur eine Mutter lesen konnte. »Dieses Wort hier«, sagte sie, »besteht aus drei Buchstaben. Ein C. Ein 0. Ein P. Das heißt >Cop<. Hier steht, der Mann bei Burton Jarvis war ein Cop.« Sie drückte ihm die Blätter an die Brust und ging zu ihrem Sohn. »Dieses Gespräch ist zu Ende.«
Als Hunt gegangen war, blieb Katherine am Bett ihres Sohnes stehen. Sie schaute ihn lange an, fragte ihn jedoch nicht nach den Federn oder den Notizen oder dem, was Hunt gesagt hatte. Die Farbe wich aus ihren Wangen, und sie sah sehr ruhig aus. »Bete mit mir, Johnny.«
Er sah, wie sie niederkniete; tief in ihm erwachte Ärger. Einen Augenblick lang war sie stark gewesen, und noch einen Augenblick länger war er so stolz auf sie gewesen. »Beten?", fragte er.
»Ja.«
»Seit wann das?«
Sie wischte mit den Handflächen über ihre Jeans. »Ich glaube, ich hatte vergessen, wie gut es sich anfühlt.«
Johnny hörte ihre Worte, als habe eine Fremde sie ausgesprochen. Es war so leicht für sie, aufzugeben, die Hände in die Höhe zu werfen und sich damit zu begnügen, dass sie sich gut fühlte.
»Er hört nicht zu«, sagte er.
»Vielleicht müssen wir ihm noch eine Chance geben.«
Johnny starrte sie an, so angewidert und enttäuscht, dass er es nicht länger verbergen konnte. Er packte die Chromstange an seinem Bett, und es war, als könne er den Stahl mit den Fingern verbiegen. »Weißt du, worum ich gebetet habe? Jede Nacht, bis mir klar wurde, dass es Gott nicht interessiert? Dass es ihn nie interessieren würde? Weißt du, worum?«
Seine Stimme klang brutal. Katherine schüttelte nur den Kopf, betrübt und erschrocken.
»Bloß um drei Dinge«, sagte Johnny. »Ich habe darum gebetet, dass der Rest unserer Familie nach Hause kommt. Ich habe darum gebetet, dass du aufhörst mit deinen Tabletten.« Sie öffnete den Mund, aber Johnny redete weiter, schnell und kalt. »Ich habe darum gebetet, dass Ken stirbt.«
»Johnny!«
»Jede Nacht hab ich darum gebetet. Familie zu Hause. Schluss mit den Tabletten. Und ein langsamer, qualvoller Tod für Ken Holloway.«
»Bitte sag das nicht.«
»Was soll ich nicht sagen? Dass Ken sterben soll, langsam und qualvoll?«
»Nicht ...«
»Ich will, dass er stirbt mit der Angst, die er über uns gebracht hat. Er soll wissen, wie es ist, hilflos und voller Angst zu sein, und dann soll er irgendwo hingehen, wo er uns nichts mehr anhaben kann.« Sie berührte sein Haar, und ihre traurigen Augen schwammen in Tränen. Er stieß die Hand weg. »Aber darum geht's bei Gott nicht, oder?« Johnny richtete sich noch höher auf. Aus dem Ärger war Wut geworden, und die Wut trieb ihm die Tränen in die Augen. »Gebete haben Alyssa nicht nach Hause gebracht. Und Dad auch nicht. Sie haben das Haus nicht warm gehalten und Ken nicht daran gehindert, dir wehzutun. Gott hat sich von uns abgewandt. Das hast du mir selbst gesagt, oder?«
Das stimmte. Eine kalte Nacht auf dem Fußboden eines leeren Hauses. Blut an ihren Zähnen. Das Gluckern nebenan, als Ken sich einen neuen Drink einschenkte. »Ich glaube, da habe ich mich vielleicht geirrt.«
»Wie kannst du das sagen nach allem, was wir verloren haben?«
»Was Gott uns gibt, kann nicht absolut sein, Johnny. Es kann nicht alles sein, was wir haben wollen. So ist er nicht. Das wäre zu einfach.«
»Nichts war einfach!«
»Verstehst du denn nicht?« Flehentlich sah sie ihn an. »Es gibt immer noch etwas zu verlieren.« Sie griff nach seiner Hand, aber er riss sie weg. Da umfasste sie die Chromstange mit beiden Händen. Licht glänzte in ihrem Haar. »Bete mit mir, Johnny.«
»Um was?«
»Dass wir zusammenbleiben können. Um die Kraft zum Loslassen.« Auch ihre Finger spannten sich jetzt weiß um die Stange. »Um Vergebung.« Sie schaute ihm lange in die Augen, wartete aber nicht auf eine Antwort. Sie senkte den Kopf, und die Worte kamen leise aus ihrem Mund. Sie schaute nicht auf, um zu sehen, ob Johnny die Augen geschlossen hatte und vielleicht sogar mit ihr betete. Und das war gut so.
In Johnnys Gesicht lag keine Spur von Vergebung.
Und kein Gedanke ans Loslassen.
FÜNFUNDZWANZIG
M it vielen unterschiedlichen Empfindungen verließ Hunt das Zimmer: Verwirrung und Zweifel an dem, was Katherine in Johnnys Notizen
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