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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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angeblich gelesen hatte, Zorn und Frustration, weil der Junge nicht mit ihm sprechen wollte, Erleichterung darüber, dass der Kleine noch lebte und dass auch Tiffany überlebt hatte. Er lehnte die Schulterblätter an die kalte Wand und ignorierte die Leute, die an ihm vorbeigingen, und die Blicke, die sie ihm zuwarfen. Er war erschöpft und besorgt, aber er hoffte, dass Burton Jarvis' Tod der Anfang des Endes gewesen war, dass das gewaltsame Ableben des alten Mannes der erste Schritt zur Aufklärung von Alyssas Verschwinden sein würde. Er versuchte sich einzureden, dass dieser kranke Scheißkerl bei den schrecklichen Dingen, die er getan hatte, allein gewesen war. Doch etwas Fauliges, Glitschiges ringelte sich hartnäckig in seinem Hinterkopf.
    Ein Cop?
    War das auch nur denkbar?
    Hunt versuchte noch einmal, das gedrängte Gekritzel der Notizen zu entziffern. Manches war mit Bleistift geschrieben und verwischt. Hier waren Wasserflecken, anderswo war die Schrift durch Ruß und Kiefernharz und Risse im Papier unleserlich. Er konnte gerade genug entziffern, um zu wissen, dass hier noch mehr war. Am liebsten hätte er die Tür eingetreten und die Antwort aus dem Jungen herausgequetscht.
    Verdammt!
    Der Kleine wusste etwas. Hunt war sicher. Wieder, wie schon so oft, sah er die schwarzen, wachsamen Augen vor sich, die tiefe Ruhe seines gründlichen und sorgfältigen Nachdenkens. Johnny war auf mehr als eine fundamentale Art verkorkst, verrenkt und verdreht, aber die Klarheit, mit der er bestimmte Dinge sah ...
    Loyalität. Wildheit. Entschlossenheit.
    Diese Eigenschaften bewirkten, dass der Junge so viel mehr war als ein bloßer Störfaktor. Sie weckten Stolz und Beschützerdrang in Hunt. Johnny musste erfahren, wie selten solche Eigenschaften geworden waren, wie kostbar auf dieser Welt. Hunt wollte den Arm um den Jungen legen und ihm helfen, es zu verstehen, und zugleich wollte er, dass er aufhörte.
    Er trat auf den Parkplatz hinaus. Die Sonne war zu hell, die Luft zu rein. Grünes Gras und Sonnenschein waren an einem solchen Tag ohne Sinn. Er schaute hinauf zum fünften Stock. Johnnys Zimmer war an einem Ende, Tiffanys am anderen. Das Gebäude glänzte weiß, und in den Fenstern spiegelte sich ein makelloses Blau.
    Hunt machte sich auf den Weg zu seinem Wagen. Auf halber Strecke sah er den Mann im Anzug. Spindeldürr und mit hochgezogenen Schultern kam er aus einer Nische an der hinteren Ecke des Gebäudes, schlängelte sich zwischen zwei Autos hindurch und näherte sich von rechts. Hunt taxierte ihn automatisch: die Hände gut zu sehen, ein freundliches Lächeln. In einer Hand hielt er zusammengefaltete Papiere. Ein Verwaltungsmitarbeiter des Krankenhauses, vermutete Hunt. Vielleicht auch ein Verwandter eines Patienten, der zu Besuch kam.
    »Detective Hunt?« Um die dreißig, feines Haar, die Haut leicht pockennarbig. Seine Zähne waren weiß und gerade. »Ja.«
    Das Lächeln des Mannes wurde breiter, und er hob einen Finger, als versuche er, ein bekanntes Gesicht unterzubringen. »Detective Clyde Lafayette Hunt?«
    »Ja.« Er reichte Hunt die zusammengefalteten Papiere. Sein Lächeln verschwand, als Hunt sie entgegennahm. »Eine Zustellung.« Hunt sah ihm nach, als er davonging, dann las er, was auf dem Papier stand. Er wurde verklagt, und zwar von Ken Holloway.
    Scheiße.
    Levi Freemantles Bewährungshelfer arbeitete in einem Labyrinth von Büros im zweiten Stock des County-Gerichts. Im Korridor schälte sich das Linoleum vom Boden ab, die verputzten Wände waren fleckig vom Nikotin von achtzig Jahren. Die Bürotüren waren aus dunklem Eichenholz, die vergitterten Oberlichter darüber an ihren Messingscharnieren nach außen geklappt. Geräusche drangen durch die Türen: Argumente, Entschuldigungen, Tränen. Das alles hatte man schon gehört. Hundertmal. Millionenmal. Fluten von Lügen, die einen Bewährungshelfer zu einem der scharfsinnigsten Kenner der menschlichen Natur machten, den Hunt je gesehen hatte.
    Freemantles Bewährungshelfer fand er im neunten Büro am Korridor. Auf dem Schild am Türrahmen stand der Name Calvin Tremont, und die Tür stand offen. Akten stapelten sich auf Stühlen und auf dem Fußboden. Ein Ventilator quirlte warme Luft von seinem Platz auf einem verschrammten Stahlschrank herunter. Hunt kannte den Mann hinter dem Schreibtisch. Er war mittelgroß, hatte einen Bauch und war fast sechzig. Sein Haar war grau meliert, und die Falten in seinem Gesicht waren fast schwarz in der dunklen Haut.

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