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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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und sie stellte sich vor, wie er das Ohr an die Tür drückte und die Fingerspitzen an die schmutzige Farbe presste. Die Stille zog sich hin. Zehn Sekunden. Eine Minute. Sie schrie auf, als er ein letztes Mal gegen die Tür trat. Dann spürte sie die Vibrationen, als er die Veranda verließ. Der Motor seines Wagens sprang an, und das Scheinwerferlicht bohrte sich durch die durchlöcherten Gardinen, als er im Vorgarten wendete und die Straße hinaufraste.
    Sie sackte an der Tür in sich zusammen und zitterte so heftig, dass ihr der Kiefer wehtat. Er musste betrunken oder vollgekokst gewesen sein. Aber sie hatte eine Entscheidung getroffen. Johnny kam zuerst. Kein Alkohol, keine Tabletten. Und das bedeutete: kein Ken Holloway.
    Katherine bohrte die Zähne in den Handballen. Wenigstens war Johnny nicht hier. Wenigstens war er in Sicherheit.
    Sie wartete, bis ihr Herz wieder normal schlug und ihr Atem Ruhe kam. Fünf Minuten. Vielleicht zehn. Sie wollte eben aufstehen, als sie vor dem Haus eine verstohlene Bewegung hörte: Kies unter einer Schuhsohle, ein Scharren auf nackter Erde. Die Angst lähmte sie so sehr, dass sie buchstäblich nicht mehr atmen konnte. Draußen bog sich eine alte Diele; es klang, als wehe der Wind durch einen abgestorbenen Baum. Ein Gewicht auf der Veranda. Ein dumpfes Geräusch an der Tür, sehr leise. Katherine hörte, wie die unterste Verandastufe knarrte, und dann war es still.
    Völlig und furchterregend still.
    Sie hatte das Telefon in der Hand, aber der Notruf genügte nicht: Sie brauchte Hunt. Sie vertraute ihm. Geduckt schlich sie in die Küche. Seine Karte lag in der obersten Schublade. Er meldete sich beim ersten Klingeln. Sie sprach flüsternd.
    »Machen Sie nicht die Tür auf«, sagte er. »Was immer Sie tun. Ich schicke einen Wagen. Er ist sofort da.«
    Sie behielt das Telefon in der Hand, als das Gespräch zu Ende war. Vorsichtig kroch sie zum Fenster und riskierte einen Blick nach draußen. Sie sah Schatten und Bäume, den Wechsel zwischen Hell und Dunkel, wenn tief hängende Wolken am aufgehenden Mond vorbeijagten. Nichts war auf der Straße. Nichts im Vorgarten. Sie lehnte sich nach rechts und drückte die Wange an die Scheibe. So konnte sie die Veranda sehen, aber nicht genug davon. Sie kehrte zur Tür zurück, lauschte und hörte ein Scharren, das klang, als kratze jemand mit einer Gabel über Wachspapier. Zweimal hörte sie es, ganz leise, und dann unverkennbar ein gedämpftes Schreien. Matt. Aber irgendwie vertraut.
    Sie hörte es noch einmal. Es war vor der Tür. Auf der Veranda.
    Katherine schaute das Telefon an, und dann hörte sie erneut das Schreien. Einen panischen Augenblick lang dachte sie, es sei ein Baby. Jemand hatte ein Baby auf ihrer Veranda abgelegt — aber das war verrückt, das wusste sie. Trotzdem schrie es wieder, und unversehens waren ihre Finger am Riegel, und eine Hand lag auf dem Türknauf.
    Sie erstarrte und dachte an Ken.
    In der Ferne sprang ein Motor an. Das Geräusch schwoll an und wehte dann nach Süden. Wieder hörte sie den Schrei, und kalte Luft berührte ihre Wange, als die Tür sich so weit öffnete, wie die Sicherungskette es zuließ. Sie konnte sich nicht erinnern. dass sie entschieden hatte, sie zu öffnen.
    Auf der Veranda stand ein mit silbernem Klebeband verschlossener Pappkarton. Darauf lag ein Umschlag. Der Karton bewegte sich, und das Geräusch, das herauskam, war jetzt deutlicher zu hören. Johnnys Name stand auf dem Umschlag. »O mein Gott.« Sie schaute in den Vorgarten hinaus; er war leer, und sie trat hinaus. Der Umschlag war nicht verschlossen und enthielt nur ein einziges Blatt. Die Nachricht war maschinengeschrieben und nicht unterzeichnet.
    Du hast niemanden gesehen. Nichts gehört. Du hältst deine verdammte Klappe.
    Entsetzt starrte Katherine den Karton an. Sie sank auf die Knie und schälte den glänzenden Klebstreifen ab. Er löste sich mit einem reißenden Geräusch. In dem Karton lag eine Katze. Sie lebte.
    Ihr Rückgrat war gebrochen. Katherine fiel ins Haus zurück. Sie war erstarrt und hatte nur einen Gedanken.
    Johnny.
    Sie wählte Steves Nummer, traf jedoch nicht die richtigen Tasten. Mit unbeholfenen Fingern versuchte sie es noch einmal. »Bitte, lieber Gott«, murmelte sie.
    Das Telefon klingelte sechsmal, aber niemand meldete sich. Verzweifelt vor Angst drückte sie die Trenntaste. Dann rief sie Hunt noch einmal an.

EINUNDDREISSIG
    J ohnny öffnete das Garagentor und startete den Truck. Der Motor lief unrund,

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