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Das letzte Koenigreich

Das letzte Koenigreich

Titel: Das letzte Koenigreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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seines Vaters. «Wir können noch zwei Tage warten», sagte er.
    «In zwei Tagen wird das Sterben nicht leichter sein», seufzte Odda, den ich in diesem Augenblick bewunderte. Er hatte gehofft, nicht kämpfen zu müssen und von seinem König gerettet zu werden, wusste aber genau, dass er nun handeln musste und dass die Männer von Defnascir Englands Schicksal in den Händen hielten. «Morgen früh», sagte er, ohne mich anzusehen. «Sobald es hell wird, greifen wir an.»
    Wir schliefen in voller Kriegsrüstung, das heißt, wir versuchten zu schlafen, was in einem Kettenhemd oder einem Lederpanzer, mit Waffengehängen und einem Helm auf dem Kopf kaum möglich ist. Auf ein Feuer verzichteten wir, weil Odda nicht wollte, dass die Dänen uns in Kampfbereitschaft sahen. In ihrem Lager brannten so helle Feuer, dass es unsere Wachen leicht hatten, nach feindlichen Spähern Ausschau zu halten. Es kamen keine. Hinter zerrissenen Wolken war manchmal der abnehmende Mond zu sehen. Ringsum brannten Feuer, vor allem im Süden bei Cantucton, wo Guthrum lagerte, und im Osten nahe den dänischen Schiffen, deren vergoldete oder bemalte Stevenköpfe den Feuerschein widerspiegelten. Vom Rand der Weide aus, die zwischen uns und dem Fluss lag, beobachteten die Dänen den Hügel. Hinter ihnen erstreckte sich ein Moorgebiet, das bis an eine kleine Ortschaft am Fluss heranreichte, in deren Hütten die dänischen Schiffswachen Unterschlupf gefunden hatten. Zwischen den Hütten, deren Bewohner längst geflohen waren, brannten ebenfalls Feuer, und ich sah eine Hand voll Dänen vor den hohen Steven ihrer am Ufer liegenden Schiffe auf und ab gehen. Ich stand auf dem Wall, betrachtete die langen, schlanken Schiffe und hoffte inständig, dass die Windviper nicht untergegangen war.
    Ich konnte nicht schlafen. Ich dachte an Schilde und Dänen, an Schwerter und Furcht. Ich dachte an mein Kind, das ich noch nicht gesehen hatte, an Ragnar den Furchtlosen, daran, dass er mir vielleicht aus Walhalla zusah. Ich hatte Angst zu versagen, wenn ich am Morgen im Schildwall an der Schwelle des Todes stünde. Und ich war nicht der Einzige, der keinen Schlaf fand. Gegen Mitternacht stieg jemand auf den mit Gras überwachsenen Wall und gesellte sich zu mir. Es war Aldermann Odda. «Woher kennt Ihr Ubba?», fragte er mich.
    «Ich war ein Gefangener der Dänen», antwortete ich. «Sie haben mich erzogen und mir zu kämpfen beigebracht.» Ich berührte einen meiner Armreife. «Den hat mir Ubba gegeben.»
    «Ihr habt für ihn gekämpft?», fragte Odda ohne jeden Vorwurf in der Stimme. Er war einfach nur neugierig.
    «Ums Überleben habe ich gekämpft», antwortete ich ausweichend.
    Er blickte zurück auf den im Mondlicht schimmernden Fluss. «Die Dänen sind nicht dumm», sagte er. «Sie werden einen Angriff im Morgengrauen erwarten.» Ich schwieg und fragte mich, ob sich Odda in seiner Angst anders besonnen hatte. «Und sie haben mehr Männer als wir.»
    Ich sagte immer noch nichts. Die Angst setzt jedem zu, und nichts ist beängstigender als die Aussicht darauf, in einem Schildwall stehen zu müssen. Auch ich hatte in dieser Nacht Angst. Ich hatte zwar an A Escs Hügel gekämpft und an jener Brücke nach Wales, aber noch nie in einem großen Schildwall. Morgen, so dachte ich, morgen ist es so weit, und wie Odda wünschte ich mir Alfreds Hilfe, die aber, wie ich wusste, ausbleiben würde. «Sie haben mehr Männer als wir», wiederholte Odda, «und manche von uns sind nur mit Sicheln bewaffnet.»
    «Auch eine Sichel kann tödlich sein», sagte ich, doch das war töricht. Mit einer solchen Waffe hätte ich keinem Dänen gegenübertreten wollen. «Wie viele tragen richtige Schwerter?», fragte ich.
    «Vielleicht die Hälfte.»
    «Dann sollten die in den vorderen Reihen stehen», schlug ich vor. «Die Nachrückenden nehmen sich die Waffen der Gefallenen.» Ich hatte keine Vorstellung von dem, was ich sagte, fühlte mich aber bemüßigt, Zuversicht zu verbreiten, denn nur mit ihr ließ sich die Angst bezwingen.
    Oddas Blick war auf die dunklen Schiffe in der Tiefe gerichtet. Nach einer Weile sagte er: «Eure Frau und Euer Sohn sind wohlauf.» «Gut.»
    «Mein Sohn hat sie nur zu retten versucht.» «Und gebetet, dass ich tot bin.»
    Er zuckte mit den Achseln. «Seit dem Tod ihres Vaters hat Mildrith bei uns gelebt. Mein Sohn mochte sie sehr. Er wollte ihr nichts Böses und hat auch nichts Böses getan.» Er streckte die Hand aus, und ich sah, dass er mir einen Lederbeutel

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