Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Fenster im ersten Stock keine wirkliche Farbe gegeben. Die Weinranken hatten sich an gelbbraune Stöcke geklammert, das Gras sonnverbrannt vor den Mauern gelegen.
Ein kalter Dezemberwind schlug ihr entgegen, als sie eine halbe Stunde später die Doppeltür zum mit Kies bestreuten Innenhof der Villa Monasteria öffnete. Ohne eigentliches Ziel schlenderte sie zum Bambuswald auf der anderen Seite hinüber, vielleicht zwanzig Meter waren das. Auf dem Weg, der den Wald teilte, standen zwei eifrig in ein Gespräch vertiefte Nonnen. Ihre Stimmen wurden leiser, als Hanne näher kam. Und als sie an den beiden älteren, graugekleideten Frauen vorüberging, senkten diese die Köpfe und verstummten.
Auf der einen Seite des Weges war der Wald schwarz, auf der anderen hatten die Stämme eine grünliche Färbung. Die Nonnen waren verschwunden, als Hanne sich umschaute und wieder einmal darüber nachdachte, wie dieser farbliche Unterschied zwischen den daumendicken Pflanzen zu beiden Seiten des Weges zu erklären sein mochte. Sie hatte die vertrauten schlurfenden Schritte über den Kiesboden nicht wahrgenommen. Für einen Moment fragte sie sich, wo die Nonnen geblieben sein mochten, dann fuhr sie mit den Fingern über einen Bambusstamm und ging weiter zum Karpfenteich.
Irgend etwas ging hier vor sich. Irgend etwas stand bevor.
In der ersten Zeit waren die Nonnen freundlich gewesen. Nicht besonders redselig, natürlich, die Villa Monasteria war eine Stätte der Kontemplation und des Schweigens. Ab und zu ein kurzes Lächeln, bei den Mahlzeiten vielleicht, ein fragender Blick über Händen, die gern Wein nachschenkten, das eine oder andere freundliche Wort, das Hanne nicht verstand. Im August hatte sie kurz mit dem Gedanken gespielt, ihren Aufenthalt hier zu nutzen, um Italienisch zu lernen. Dann hatte sie diesen Plan wieder aufgegeben. Sie war nicht zum Lernen hergekommen.
Irgendwann hatten die Nonnen begriffen, daß Hanne einfach in Ruhe gelassen werden wollte. Auch der smarte Direktor hatte das eingesehen. Alle drei Wochen nahm er ihr Geld entgegen und sagte dazu nur ein nüchternes »Grazie«. Die lustigen Studentinnen aus Verona, die ab und zu so laut Musik laufen ließen, daß die Nonnen schon nach wenigen Minuten angerannt kamen, hatten Hanne für eine Gleichgesinnte gehalten. Allerdings nur zu Anfang.
Hanne Wilhelmsen hatte ein halbes Jahr damit verbracht, ganz allein zu sein.
Die meiste Zeit hatte sie ihren täglichen Kampf darum, sich mit gar nichts zu befassen, in Ruhe ausfechten können. In der letzten Zeit jedoch hatte sie ihre Neugier nicht mehr gegen die Tatsache abschotten können, daß in der Villa Monasteria offenbar etwas vor sich ging. Il direttore, ein schlanker, allgegenwärtiger Mann von Mitte Vierzig, hob immer häufiger die Stimme, wenn er mit den nervös flüsternden Nonnen sprach. Seine Schritte knallten härter über den Steinboden als früher. Er eilte von einer rätselhaften Tätigkeit zur anderen, tadellos gekleidet, eingehüllt in eine Wolke aus Schweiß und Rasierwasser. Die Nonnen lächelten nicht mehr, und immer weniger von ihnen fanden sich zu den Mahlzeiten ein. Zum Ausgleich waren sie immer häufiger im stillen Gebet auf den Holzbänken der kleinen Kapelle aus dem vierzehnten Jahrhundert anzutreffen, auch dann, wenn keine Messe war. Hanne konnte von ihrem Fenster aus sehen, wie sie zu zweien durch die klobigen Holztüren schlüpften.
Es war schwer auszumachen, wie tief der Karpfenteich war. Das Wasser war unnatürlich klar. Die trägen Bewegungen der Fische über dem Boden wirkten abstoßend, und Hanne empfand einen Anflug von Übelkeit bei dem Gedanken, daß sie durch das Trinkwasser des Klosters schwammen.
Sie setzte sich auf die Mauer, die den Teich umgab. Schwere Eichen zeichneten sich halb nackt vor dem vorweihnachtlichen Himmel ab. Am Hang im Norden weidete eine Schafherde. In der Ferne bellte ein Hund, und die Schafe drängten sich aneinander.
Hanne hatte Heimweh.
Es gab nichts, wonach sie Heimweh hätte haben können. Aber es war etwas passiert. Sie wußte nicht, was, und sie wußte nicht, warum. Ihre Sinne, träge geworden durch einen bewußten Prozeß, der sich über viele Monate hingezogen hatte, schienen sich die aufgezwungene Muße nicht mehr gefallen zu lassen. Sie hatte angefangen, Dinge zu registrieren.
Cecilie Vibes Tod lag ein halbes Jahr zurück. Hanne war nicht einmal zur Beerdigung der Frau gegangen, mit der sie fast zwanzig Jahre lang zusammengelebt hatte. Sie
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